Autismus - ohne wäre die Normalität gestört

 

 

  ESH-Startseite

 

 

Hinweis: Da uns vereinzelt von Lesern ein zerschossenes Seitenlayout mitgeteilt wurde: Sollte dieser Text nicht unter dem Menü stehen, sondern daneben, dann teil uns das über das Kontaktformular mit. Wir können nicht jedes System selbst testen.

Problem Kostenrechnung für barrierefreie Akteneinsicht in Gerichtsverfahren

Bis heute ist es für Autisten insbesondere in gerichtlichen Straf- oder Ordnungswidrigkeitsverfahren immer wieder ein Extraabenteuer überhaupt zu erreichen Akteneinsicht zu erhalten, um genügend verstehen zu können, worum es im ihn betreffenden Verfahren geht. Ein im Prinzip noch immer aktuelles Beispiel im Zusammenhang eines Einspruchs gegen einen Strafbefehl findet sich hier.

Neben Verweigerungen der Einsicht, indem die Zusendung einer Aktenkopie vom Gericht abgelehnt wird, kommt es auch vor, daß ein Gericht eine Aktenkopie zusenden läßt, dafür jedoch z.B. über die Justizkasse dem Autisten Kopierkosten in Rechnung stellt.

Beispielhaft kann sich das so lesen (zur Kopie einer 42 Seiten umfassenden Akte):

Satz: 42,0
Gegenstand des Kostenansatzes: Dokumentenpauschale für Ausfertigungen/Kopien/Ausdrucke (§ 3 II GKG, KV 9000 Nr.1)
Wert EUR: 0,50
Betrag EUR: 21,00

Das Einspruchsverfahren nennt sich in solchen Fällen offiziell „Erinnerung“, den jeweilgen Schreiben sollte normalerweise eine entstsprechende Rechtsbehelfserklärung angefügt sein.

Wenn ein Autist aus Gründen der Barrierefreiheit im Gerichtsgebäude nicht in angemessener Weise Akteneinsicht nehmen könnte, indem er dort die Akte ausgehändigt bekäme, um sie dort dann lesen zu können, weil für ihn schon die Situation im Gerichtsgebäude entsprechend barrierehaltig ist, z.B. wegen der sensorischen Reize und der sich daraus ergebenen Unmöglichkeit sich in der Situation entsprechend zu konzentrieren, ist ihm barrierefrei Akteneinsicht zu gewähren, was in der Regel durch Zusendung einer Kopie der Akte technisch gut und auch für das Gericht eigentlich verhältnismäßig günstig umsetzbar wäre.

Für solche Fälle sieht z.B. das deutsche Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) vor (zum Begriff der „Sprachbehinderung“ ist hier mehr zu lesen):

§ 186 (1) Die Verständigung mit einer hör- oder sprachbehinderten Person erfolgt nach ihrer Wahl mündlich, schriftlich oder mit Hilfe einer die Verständigung ermöglichenden Person, die vom Gericht hinzuzuziehen ist. Für die mündliche und schriftliche Verständigung hat das Gericht die geeigneten technischen Hilfsmittel bereitzustellen. Die hör- oder sprachbehinderte Person ist auf ihr Wahlrecht hinzuweisen.

https://www.gesetze-im-internet.de/gvg/__186.html

§ 187 (1) Das Gericht zieht für den Beschuldigten oder Verurteilten, der der deutschen Sprache nicht mächtig ist, einen Dolmetscher oder Übersetzer heran, soweit dies zur Ausübung seiner strafprozessualen Rechte erforderlich ist. Das Gericht weist den Beschuldigten in einer ihm verständlichen Sprache darauf hin, dass er insoweit für das gesamte Strafverfahren die unentgeltliche Hinzuziehung eines Dolmetschers oder Übersetzers beanspruchen kann.

https://www.gesetze-im-internet.de/gvg/__187.html

§ 190a (1) Eine blinde oder sehbehinderte Person kann Schriftsätze und andere Dokumente in einer für sie wahrnehmbaren Form bei Gericht einreichen. Sie kann nach Maßgabe der Rechtsverordnung nach Absatz 2 verlangen, dass ihr Schriftsätze und andere Dokumente eines gerichtlichen Verfahrens barrierefrei zugänglich gemacht werden. Ist der blinden oder sehbehinderten Person Akteneinsicht zu gewähren, kann sie verlangen, dass ihr die Akteneinsicht nach Maßgabe der Rechtsverordnung nach Absatz 2 barrierefrei gewährt wird. Ein Anspruch im Sinne der Sätze 1 bis 3 steht auch einer blinden oder sehbehinderten Person zu, die von einer anderen Person mit der Wahrnehmung ihrer Rechte beauftragt oder hierfür bestellt worden ist. Auslagen für die barrierefreie Zugänglichmachung nach diesen Vorschriften werden nicht erhoben.

https://www.gesetze-im-internet.de/gvg/__191a.html

Aus all dem ergibt sich der Schluß, daß das Gericht (auf Kosten des Gerichts) den Zugang wegen vorliegender Barrieren oder anderer Sprachunkundigkeit zu gewähren hat.

Nach unseren Erfahrungen dürfte eine entsprechend begründete „Erinnerung“ unter Verweis auf § 186 eines Autisten Erfolg haben, da die Aktenkopie in diesem Fall ein Mittel der Herstellung von Barrierefreiheit ist, worauf dann die Kostenrechnung aufgehoben werden sollte.

Weiterhin viele Fehldeutungen der KHV und §186 GVG

Auch in Hinblick auf unseren Artikel von 2008 zu diesem Thema ist auffällig, wie oft bis heute Behörden oder in selteneren Fällen selbst Gerichte die KHV zu Ungunsten von Behinderten fehldeuten.

Häufig wird dabei falsch die Ansicht verteten, da in der KHV beispielhaft gestützte Kommunikation genannt wird, sei nur diese Autisten zu gewähren. (Bei aller berechtigten Kritik an dieser Methode wird durch diese Erwähnung in der KHV ja klar formuliert, daß Autisten ausdrücklich zum gemeinten Personenkreis zählen, weswegen Autisten niemals fordern sollten, sie daraus ersatzlos zu streichen.) Dazu sei hier der Einfachheit halber als zusätzliche Argumentationsschablone aus einem Schriftsatz im Rahmen eines von der ESH begleiteten (erfolgreichen) Verfahrens zitiert:

„Gleichwohl wird als „Kommunikationsmethode“ im Sinne einer „anderen Kommunikationshilfe“ in § 3 Abs 2 Nr. 2 KHV „insbesondere“ die „gestützte Kommunikation für Menschen mit autistischer Störung“ angeführt. Offensichtlich geht die Kommunikationshilfeverordnung also von einem weiten Verständnis von „Hör- und Sprachbehinderung“ aus und bezieht auch die Kommunikationsbarriere mit Bezug zu neurologisch bedingten Personeneigenschaften in einer bestimmten Situation nicht mündlich kommunizieren zu können in den Formenkreis der „Hör- oder Sprachbehinderungen“ ein, was auch sinnvoll erscheint, da, wie schon der explizite Ansatz des BGG und der Titel der “Kommunikationshilfeverordnung“ deutlich machen hier nicht bestimmte Formen von Behinderungen privilegiert überwunden werden sollen, sondern behinderungsbedingte Kommunikationserschwernisse ausgeglichen werden sollen.

Anders als die Beklagte meint, ist die „gestützte Kommunikation“ für Autisten, wie sich aus dem „insbesondere“ ergibt, also nicht die einzig denkbare und in Betracht kommende Kommunikationsmethode für den Antragsteller, sondern lediglich ein Regelbeispiel für eine Kommunikationsmethode. Auch dass für Autisten keine andere Kommunikationsmethode angeführt wird ändert daran nichts, weil sich aus der Systematik der Norm ergibt, dass sie ergebnisorientiert ist, also die Kommunikation entsprechend den Bedürfnissen der behinderten Menschen möglich machen soll, und nicht methodenorientiert, also nur die Nutzung bestimmter Methoden und Kommunikationshilfen ermöglichen soll.“

Ergänzend sei hier ebenfalls im Rückgriff auf zurückliegende Verfahren darauf hingewiesen, daß der gerichtliche Verfahren regelnde §186 GVG in einer neuen Fassung wie die KHV im Jahr 2002 in Kraft getreten ist und die Begriffe „taub“ und „stumm“ durch den umfassenderen Begriff der „Hör- und Sprachbehinderung“ ersetzt hat. Demnach entspricht der Begriff im GVG dem in der KHV. Der §186 GVG gibt den hör- oder sprachbehinderten Personen das Recht in der Verhandlung mündlich, schriftlich oder mit einer die Verständigung ermöglichenden Person, die vom Gericht hinzuzuziehen ist, zu kommunizieren.

Auch der §186 GVG sagt nichts darüber aus, wie genau diese Verständigung zu erfolgen hat, lediglich, daß für die schriftliche Verständigung das Gericht „die geeigneten technischen Hilfsmittel“ bereitzustellen hat. Es ist nicht ersichtlich, daß für die schriftliche Kommunikation zwingend erforderlich ist, daß die behinderte Person im Gerichtssaal sitzt. §247a StPO macht deutlich, daß sogar im Strafverfahren belastende Zeugenaussagen von außerhalb des Gerichtssaales gemacht werden können. Jedenfalls ist angesichts der Norm selber eine Verständigung des Gerichts mit der betroffenen Person erforderlich, wie die Kommunikation nach §186 GVG auszugestalten ist, um dem Normzweck – Kommunikationsfähigkeit – und die Anforderungen des Verfahrens in Einklang zu bringen. Der §186 GVG verlangt, daß die behinderte Person auf ihr Wahlrecht hinzuweisen ist.

Unterstützung durch die ESH nach Widerstandshandlungen

Viele mehr oder weniger hierarchisch organisierte Strömungen, die sich selbst als Widerstands- oder Aktionsgruppen anläßlich irgendwelcher (angeblicher) Mißstände verstehen, unterstützen Mitglieder, die im Zusammenhang ihres Aktivismus von Justizorganen irgendwelcher Gesetzesverstöße beschuldigt werden mehr oder weniger intensiv.

Ein relativ bekanntes Beispiel für solche Organisationen ist die „Rote Hilfe“ („Red Aid“):

„Die Unterstützung für die Einzelnen soll zugleich ein Beitrag zur Stärkung der Bewegung sein. Jede und Jeder, die sich am Kampf beteiligen, soll das in dem Bewußtsein tun können, daß sie auch hinterher, wenn sie Strafverfahren bekommen, nicht alleine dastehen. Ist es der wichtigste Zweck der staatlichen Verfolgung, diejenigen, die gemeinsam auf die Straße gegangen sind, durch Herausgreifen Einzelner voneinander zu isolieren und durch exemplarische Strafen Abschreckung zu bewirken, so stellt die Rote Hilfe dem das Prinzip der Solidarität entgegen und ermutigt damit zum weiterkämpfen.

[…]

Wir wollen nicht nur materielle, sondern auch politische Unterstützung leisten, wollen also das, wofür jemand verfolgt wird, soweit es uns möglich ist, auch in der Öffentlichkeit vertreten. Deshalb suchen wir mit denen, die wir unterstützen, die politische Auseinandersetzung, nehmen eventuell auch zu ihrer Aktion Stellung. Aber wir machen vom Grad der Übereinstimmung nicht unsere Unterstützung abhängig.“
Quelle: https://www.rote-hilfe.de/ueber-uns/ueber-uns

Greenpeace wäre dann ein Beispiel für eine eher hierarchische Organisation, die auch in solcher Weise aktiv ist:

„Hatten die Aktivisten das Recht, so vorzugehen? Hat die Gegenseite recht, die ihre Interessen als entscheidend ansieht? Auch diese – meist nicht sichtbare – Auseinandersetzung ist wichtig. Schließlich müssen in einem Rechtsstaat konkurrierende Rechtsauffassungen auch ausgetragen werden, das Recht muss sich auf diesem Weg weiter entwickeln.

So war ein Urteil in Großbritannien im Jahr 2008 ein juristischer Durchbruch: Sechs Greenpeace-Kletterer hatten auf dem Schornstein eines Kohlekraftwerks mehr Klimaschutz von der britischen Regierung gefordert. Der Betreiber des Kraftwerks wollte Schadenersatz – doch die Verteidigung verwies auf die enormen Schäden, die der Klimawandel für Umwelt, Menschen und Eigentum bedeutet, ohne dass die Regierung etwas dagegen unternimmt. Erstmals akzeptierte ein britisches Gericht Klimaschutz als legitimen Grund für Proteste gegen umweltschädliche Einrichtungen. Es sprach alle Aktivisten frei. Ähnliche Fälle finden wir inzwischen auch in anderen Ländern.

Die entscheidende Überlegung für den rechtlichen Vorrang der Umwelt: Ohne natürliche Lebensgrundlagen können Menschen ihre garantierten Rechte überhaupt nicht wahrnehmen, die Wirtschaft kann nicht funktionieren, eine friedliche Zivilisation nicht bestehen. Daher müssen die hochrangigen Rechtsgüter Menschenrechte und Umwelt unmittelbar dort verteidigt werden, wo sie nicht geschützt sind. Das ist die Aufgabe von Greenpeace.

Greenpeace-Aktivisten setzen sich direkt vor Ort für den Schutz unserer Lebensgrundlagen ein. Und Greenpeace unternimmt zudem rechtliche Schritte, um den Vorrang der Umwelt vor anderen Interessen klären zu lassen und das Recht auf diese Weise weiter zu entwickeln.“
Quelle: https://www.greenpeace.de/themen/uber-uns/greenpeace-und-das-recht

Auch die ESH betrachtet Solidarität in diesem Bereich als wichtiges Ziel.

Wie schon anderswo klargestellt: Die ESH ruft nicht dazu auf im Rahmen von wünschenswertem Widerstand zu illegalen Mitteln zu geifen. Die ESH diskutiert ethische Grundlagen von Widerstand, teils in Form von sehr groben Abrissen, die jedoch zeigen, was in anderen Zusammenhängen als legitim betrachtet wurde und wird, welche Positionen es zu verschiedenen damit im Zusammenhang stehenden Fragen gibt.

Die ESH regt dazu an kritisch zu hinterfragen, in sich zu gehen, das eigene Gewissen zu befragen. Und dann gegebenenfalls tätig zu werden. Die ESH hält es dabei teils ähnlich wie die zitierte „Rote Hilfe“. Wenn ihr wegen eurer eigenverantwortlich ausgeübten Widerstandsaktionen anläßlich heute in Deutschland stattfindender Genozide, die wie bereits beschrieben strukturell auch auf uns Autisten zielen, von Justizorganen beschuldigt oder angeklagt werdet, dann werden wir euch, wenn ihr es wollt und deswegen Kontakt zu uns aufnehmt, im Rahmen unserer Möglichkeiten unterstützen. Diese Möglichkeiten sind vielleicht nicht optimal. Wir würden dann gegebenenfalls in unserem Rahmen auch Öffentlichkeit herstellen, damit der regimetreue Medienmainstream nicht unwidersprochen wie in der Regel erwartbar irgendwelchen verzerrten Unsinn verbreitet und dann z.B. „wirre Motive“ behauptet.

Wir respektieren ganz allgemein eure eigenen Gewissensentscheidungen. Nicht unterstützen werden wir euch, wenn ihr z.B. in irgendeinem Supermarkt irgendwelche Leute massakriert habt, die eben gerade anwesend waren. Nicht unterstützen werden wir euch ebenfalls nicht im Zusammenhang mit Aktionen GEGEN Abtreibungskritiker und Parteien wie Politiker mit solchen Haltungen (z.B. nach aktuellem Stand noch immer die AfD), die auf der Ebene des Tatsächlichen auch nicht tief in heutige Genozide verstickt sind (wie z.B. CDU und CSU als eindeutig mitverantwortliche Parteien, in denen es Kräfte gibt, die soweit zu erkennen weitgehend folgenlos kritische Positionen einnehmen und das möglicherweise auch nur zwecks Wählerfang tun).

Allgemein gehen wir vom Prinzip „sowas kommt von sowas“ aus. Wer verantwortlich für einen Genozid ist, der trägt an sich auch die ethische Hauptverantwortung für die Folgen von Widerstandshandlungen.

Schreibt uns NICHT im Vorfeld was ihr aus welchen ethischen Erwägungen heraus tun wollt, schon gar nicht per Email. Bitte denkt auch selbst, daß es nicht reicht z.B. eine Türklinke mit Seife einzustreichen. Es sollte auch erkennbar werden, wieso da jemand Seife an die Türklinke geschmiert hat, z.B. wie von uns schon anderswo vorgeschlagen durch ein Platzieren des Links autisten.enthinderung.de/krieg

Ausdrücklich dazu an dieser Stelle nocheinmal: Die ESH stellt in „Kriegserklärungen“ lediglich exemplarisch dar, wer konkret gegen uns Autisten nach unseren Erkenntnissen insbesondere auf der Genozidebene faktisch Krieg führt. Es handelt sich also um Beispiele, keinen abschließenden Katalog, innerhalb dessen Rahmen ihr euch nach unserer Meinung bewegen sollt. Daher kann der genannte Link auch problemlos eingesetzt werden, wenn für das Ziel kein ausdrücklicher Eintrag vorhanden ist. Denn das dürfte bei den meisten mitverantwortlichen Organisationen der Fall sein.

Auch wenn ihr aufgrund eurer persönlichen ethischen Schlüsse keine illegalen Mittel anwendet: Wir regen an es nicht als verschwendete Energie anzusehen, sich einige Gedanken dazu zu machen, wie man als Person möglichst unerkannt bleiben könnte, sofern ihr das für euch nicht vielleicht bewußt anstrebt. Die möglichen Wege Widerstand/zivilen Ungehorsam zu üben und in welcher Form wie sinnvoll zu halten sind ja sehr vielfältig.

Beispiel zur Lebenswirklichkeit der Barrierefreiheit in deutschen Strafverfahren

Auch Autisten können sich einem Strafverfahren ausgesetzt sehen. Solche Vorwürfe können unter Umständen komplett falsch sein, z.B. wenn wütende wie skrupellose Angehörige alle namentlich greifbaren Mitaktivisten einer Selbsthilfeorganisation einfach mal vor Gericht zerren, weil sie gerne gesehen hätten, daß sie ihren autistischen Angehörigen weiter entrechtet in ihrem Einflußbereich hätten halten können. Das kann man in Deutschland formal gesehen ja allgemein auch ohne jeden inhaltlichen Sinn, einfach so um diese Autisten mal so richtig zu schikanieren mittels eines Rechtssystems, das für diese höchstens in erheblich verminderter Weise zugänglich ist.

Nehmen wir also hier im speziellen Fall eines kolportierten Strafverfahrens an, nach entsprechend von interessierten Personen angestoßenen Ermittlungen von Polizei oder Staatsanwaltschaft würde daraufhin irgendwo in Deutschland von einem Amtsgericht ein Strafbefehl erlassen, womit eine Chronologie des Unheils ihren Lauf nehmen würde.

„Es wurden weitere Anordnungen getroffen: Akteneinsicht kann in der Geschäftsstelle des Amtsgerichts […] genommen werden, erreichbar über einen barrierefreien Zugang.“

„Ihr Schreiben führt eine Anlage „Verzeichnis der Beweismittel“ an. Diese lag dem Schreiben, bestehend aus einem Blatt, leider nicht bei.

Akteneinsicht in einer Geschäftsstelle nehmen zu sollen ist für mich nicht barrierefrei, u.a. da ich mich in einer solchen Situation aufgrund psychischer Schmerzen nicht auf den Inhalt der Akte konzentrieren könnte. Bitte machen Sie mir den Inhalt der fraglichen Akte barrierefrei zugänglich. Das wäre wie bereits erwähnt durch Übersendung von Kopien möglich.

Für die angesetzte Hauptverhandlung wären ebenfalls umfassende Vorkehrungen nötig, damit eine barrierefreie Teilnahme einschließlich der Möglichkeit der entsprechenden Teilnahme an den Teilen des Verfahrens wie beispielsweise die Möglichkeit selbst ins Verfahren einzugreifen (z.B. nach Zeugenaussagen) ermöglicht werden könnte. Dafür existiert leider bisher kein Standardvorgehen.

Diese Vorkehrungen wären:

– Fernschriftlicher Zugang

Es wird mir nicht möglich sein im Gerichtssaal zu agieren. Die in ihm vorhandenen Reize stehen meiner Handlungsfähigkeit entgegen und verursachen psychische Schmerzen, die auch nach der barrierelastigen Situation noch wochenlang nachwirken können. Aus diesem Grund wäre eine solche barrierelastige Verhandlung in Bezug auf mich sowohl für die Verfahrensführung ungeeignet als auch darüber hinaus, wie auch dem beigefügten fachärztlichen Attest zu entnehmen ist, unzumutbar. Es ist nicht möglich mündliche Äußerungen anderer Verfahrensbeteiligter hinreichend sicher zu erfassen, es wird mir ebenso nicht möglich sein mich mündlich entsprechend zu äußern. Zudem würde ich auch schriftliche Äußerungen mir gegenüber im Gerichtssaal nicht sicher erfassen und über diese im nicht barrierefreien Terminsverlauf nachdenken können. Dies ist jedoch möglich aus sicherer vertrauter Umgebung aus meinem Wohnraum heraus.

– Zeitentzerrtheit

Es ist mir auch aus solch vertrauter Umgebung nicht hinreichend möglich sofort auf Inhalte korrekt zu antworten, weswegen eine Verhandlung, die sich lediglich über einige Stunden erstrecken würde für mich ebenfalls nicht barrierefrei wäre.

Somit schlage ich vor, nachdem mir zwingend notwendig rechtzeitig vorher der Inhalt der Akte für mich barrierefrei zugänglich gemacht wurde, zunächst aus Gründen der Barrierefreiheit in ein Verfahren einzutreten, das im Wesentlichen einem schriftlichen Vorverfahren ähnelt. Die Dauer einer solchen für mich barrierefreien Hauptverhandlung müßte aus meiner jetzigen Sicht wenigstens zwei Wochen betragen. Vorausgesetzt, daß es nicht zu Komplikationen käme. In einem solchen Fall würde ich dann um eine Verlängerung der Dauer ersuchen.

Genauere Verfahrensfragen könnten in der Folge noch mit mir abgesprochen und erörtert werden, um die Barrierefreiheit sicherzustellen.

Dies ist soweit auch nicht als abgeschlossene Liste nötiger Vorkehrungen anzusehen, da barrierelastige Umstände bezogen auf Autisten ein sehr komplexes Thema sind. Auf im Verlauf auftretende weitere Faktoren unzureichender Barrierefreiheit würde ich nach Möglichkeit im weiteren Verfahrensverlauf hinweisen, sofern sich die Sache nach einer barrierefreien Akteneinsicht und einer Stellungnahme dazu nicht ohnehin soweit darstellen würde, daß etwa eine Einstellung sinnvoll erscheint.

Auch die Benennung möglicher Zeugen und Weiteres wäre mir selbstverständlich erst sinnvoll möglich, nachdem ich in aussagekräftiger Weise erfahren habe, was mir aufgrund welcher Umstände eigentlich vorgeworfen wird. Dies ist soweit ich sehe bisher leider nicht der Fall.

Anhang 1

Ergänzende Zitate aus NETZWERK ARTIKEL 3 (Hg.), Verein für Menschenrechte und Gleichstellung Behinderter e.V., Gleichstellungsregelungen leicht gemacht!:

„Zunächst ist in der KHV ausgeführt, dass die Verordnung für Personen mit einer Hör- oder Sprachbehinderung gilt. Dies können taubblinde, gehörlose oder stark schwerhörige Personen sein, aber auch Menschen, die gestützte Kommunikation aufgrund einer autistischen Störung benötigen. Weiterhin ist in der KHV festgelegt, dass die Betroffenen ein „Wahlrecht“ hinsichtlich der zu benutzenden Kommunikationshilfe haben. Der notwendige Umfang ergibt sich aus „dem individuellen Bedarf der Berechtigten“. Falls eine Behörde, aus welchem Grund auch immer, bereits im Vorfeld Kenntnis von der Hör- oder Sprachbehinderung erhalten hat, ist sie verpflichtet, die Berechtigten auf ihr Wahlrecht hinzuweisen.“

„Charlotte B. ist Zeugin im Prozess gegen den Mann, der sie angefahren und anschließend Fahrerflucht begangen hat. Sie ist sehr aufgeregt und unsicher. Das hängt nicht ausschließlich mit ihrem traumatischen Erlebnis zusammen. Charlotte B. ist von Geburt an hochgradig hörbehindert, und sie hat oft die Erfahrung gemacht, dass es in wichtigen Kommunikationssituationen zu Missverständnissen kommt und ihre Äußerungen von den GesprächspartnerInnen letztlich nicht verstanden werden. Und schon am ersten Prozesstag bestätigen sich ihre unguten Ahnungen: Das Gericht hat eine Gebärdensprachdolmetscherin bestellt, was Charlotte B. aber gar nichts nutzt, da sie keine Gebärdensprache kann.“

Anhang 2: Attest bezüglich Erfordernis von Barrierefreiheit“

„In Ihrem Schreiben behaupten Sie eine Akteneinsicht in Form der Übersendung einer Aktenkopie sei durch die Strafprozessordnung nicht vorgesehen. Das ist falsch. Ich zitiere aus StPO §147 Nr. 7

„Dem Beschuldigten, der keinen Verteidiger hat, sind auf seinen Antrag Auskünfte und Abschriften aus den Akten zu erteilen, soweit dies zu einer angemessenen Verteidigung erforderlich ist, …“

Und das gilt offensichtlich auch ohne in diesem Fall bereits belegte Erfordernis des barrierefreien Zugangs. Das Gericht ist im Gegenteil dazu verpflichtet einen barrierefreien Zugang zu allen Teilen des Verfahrens zu gewährleisten und ist dazu im Sinne z.B. von BGG und KHV rechtlich auch in vollem Umfang befugt.

An dieser Stelle frage ich mich nach der Erfahrung der bisher zurückliegenden Korrespondenz, ob das Gericht durch eine behindertenrechts- oder auch allgemein behindertenfeindliche Grundeinstellung befangen ist. Es dürfte nach meiner Einschätzung einiges am rechtswidrigen und im Endergebnis bisher auch insgesamt rechtsstaatsfremden Verhalten des Gerichts dafür sprechen. Ich habe bis heute noch nicht erfahren, was mir genau vorgeworfen wird, es ist mir daher weiterhin nicht möglich sinnvoll Stellung zu nehmen.

Auch die Behauptung es sei über den bereits erbrachten Nachweis in Form von Attesten hinaus ein neues Gutachten erforderlich halte ich für klar falsch und somit rechtswidrig.

Zudem wirkt diese Behauptung auf mich auch zweifelhaft, da wohl unstrittig sein dürfte, daß das Gericht verpflichtet ist in entsprechenden Situationen Barrierefreiheit zu gewähren. Es ist nicht maßgeblich in welchen konkreten Einzelfällen dies geschieht. Und es ist mindestens eine Art zweifelhaften Ermessens das Recht auf Barrierefreiheit durch übersteigerte, und für den Beschuldigten auch erheblich belastende Nachweisanforderungen im Einzelfall zu schwächen oder praktisch ganz abzuschaffen. Es spielt für das Gericht keine entscheidende Rolle, ob der einen oder der anderen Einzelperson Barrierefreiheit gewährt wird. Entscheidend ist vielmehr, daß die Gewährung von Barrierefreiheit ein rechtlicher Normalfall ist, der insbesondere nach einem Nachweis, wie bereits vorliegend, nicht mehr derart angezweifelt werden darf ohne den Eindruck einer nichtrechtskonformen Positionierung des Gerichts zu erwecken.

Um weitere allgemeinere eigene Überlegungen anstellen zu können, bitte ich das Gericht darum vollständig aufzuführen, wer außer meiner Seite Einblick in die Verfahrensakte bekommen könnte. Existiert eine Nebenklage o.ä.? Wie erklärt sich der Umstand, daß dieses Verfahren überhaupt geführt wird, wohingegen man in der Presse quer durchs Land immer wieder nachlesen kann, wie viele dem Augenschein nach wesentlich schwerwiegendere Fälle offenbar anderswo eingestellt werden? Ein Beispiel: http://www.tagesspiegel.de/berlin/kriminalitaet-diebstahl-wird-in-berlin-kaum-noch-verfolgt/20679408.html

Um den Vorschlag einen Pflichtverteidiger einzusetzen, prüfen zu können, benötige ich genauere Informationen dazu, was dies bedeuten würde.

Das Recht auf Akteneinsicht ist laut mir bekannter Rechtsnormen ausdrücklich nicht nicht an das Vorhandensein eines Anwalts gebunden. Ebenso würde das Vorhandensein eines Anwalts nichts am Recht z.B. eines Angeklagten ändern auch selbst barrierefrei am eigenen Verfahren beteiligt zu werden. Mir ist zudem trotz einiger Erkundigungen kein Anwalt im Gerichtsbezirk bekannt, der bereit wäre mit mir in für die Sache nötigem Umfang gewissenhaft barrierefrei fernschriftlich zu kommunizieren.“

„Anliegend übermittle ich erneut meine Schweigepflichtsentbindung vom Dezember.

Ich stelle fest, daß das Gericht auch ein direktes Zitat von StPO §147 Nr. 7 ignoriert. Ebenso ging das Gericht schlichtweg nicht auf die Nennung dieser seit Monaten durch das Gericht verletzten Rechtsnorm ein. Im Schreiben vom [Februar] wird lediglich die bekannte offensichtlich rechtswidrige Haltung des Gerichts ohne jede nachvollziehbare rechtliche Erläuterung wiederholt. Dieses Vorgehen ist nicht akzeptabel.

Ich beantrage hiermit ausdrücklich erneut eine Zusendung von Abschriften der Akte, um Kenntnis darüber zu erhalten, was mir vorgeworfen wird. Es wäre nicht hinnehmbar eine Verhandlung anzusetzen, bevor dies geschehen ist. Das Gericht hatte Monate Zeit, um dieser Verpflichtung nachzukommen, somit liegt dieser Umstand auch nicht in meinem Verantwortungsbereich. Das Gericht hätte mir im Rahmen der zurückliegenden ausführlichen Korrespondenz längst zugänglich machen können, welche Vorwürfe gegen mich vorliegen, hat dies jedoch entgegen geltenden Rechts jedoch trotz entsprechendem Antrag bisher verweigert und mir so schlichtweg gar keinen Zugang zu eigentlichen Verfahrensinhalt ermöglicht. Es ist vollkommen unverständlich weshalb das Gericht dies bisher nicht getan hat, wenn man von einer behindertenfeindlichen Motivation absieht.

Was „aufgrund welcher Erkrankung ohne eine klare Diagnose“ bedeuten soll, ist mir nicht klar. Die Diagnose steht klar in einem der bereits zugesandten Atteste.

In meinem letzten Schreiben an das Gericht bat ich um genauere Informationen zu den Folgen der vom Gericht vorgeschlagenen Bestellung eines Pflichtverteidigers. Im folgenden Schreiben vom [Februar] ging das Gericht auf meine Frage dazu in keiner erkennbaren Weise ein. Aus diesem Grund fehlen mir bisher auch nötige Informationen, um diesen Vorschlag genauer zu bewerten. Auch dieser Sachstand liegt klar nicht in meinem Verantwortungsbereich. Beispielhafte erste Fragen deren Antwort für mich bisher unklar ist: Welche Kosten würden wem unter welchen Umständen durch einen Pflichtverteidiger entstehen? Kann einem Pflichtverteidiger jederzeit das Mandat entzogen werden? Könnte ich ohne mein Einverständnis von diesem vorgenommene Handlungen widerrufen? Würde ich überhaupt sicher über dessen Handlungen unterrichtet? Da eine eigene Auswahl durch mich im Raum stand, ich aber wie schon erwähnt keinen Anwalt im Gerichtsbezirk kenne, der entsprechend mit mir barrierefrei kommunizieren oder mich überhaupt vertreten würde, wäre auch eine relevante Frage, wer eventuelle Kosten für eine Anreise eines Anwalts tragen würde, der außerhalb des Gerichtsbezirks seinen Sitz hätte. Soll ich den Vorschlag des Gerichts so deuten, daß es einen solchen Pflichtverteidiger ausschließlich dafür einsetzen möchte, daß er mir den Inhalt der Akten übermittelt?

Darüber hinaus wäre eine Benachteiligung, wenn ein nachgewiesen kommunikationsbehinderter Angeklagter dazu gezwungen werden soll einen Pflichtverteidiger anzunehmen, obwohl er bisher durchwachsene Erfahrungen mit der Vertretung durch Anwälte und deren Bereitschaft hat in der Praxis jenseits anfänglicher Versprechungen tatsächlich mit ihm barrierefrei fernschriftlich zu kommunizieren. Es ist keine Lösung für eine vorhandene Barriere diese Barriere schlichtweg an eine andere Stelle zu verschieben, nämlich hier inmitten die Beziehung zwischen Angeklagten und Anwalt.

Wenn ein nichtbehinderter Angeklagter die Wahlmöglichkeit hat sich einen Anwalt zu nehmen oder auch nicht und wenn ein behinderter Angeklagter diese Möglichkeit nicht eingeräumt bekommt, dann wird der behinderte Angeklagte benachteiligt, was jedoch aufgrund von Art. 3 GG nicht mit der Verfassung vereinbar ist. Auch das Grundrecht des Zugangs zur Justiz wird verletzt, indem das Gericht nun zusätzlich androht zu verhandeln ohne, daß mir mitgeteilt wurde, was mir vorgeworfen wird und die also nach dem bisherigen Vorhaben des Gerichts vermutlich auch nicht barrierefrei ausgestaltet würde.

Diesbezüglich stelle ich hiermit vorsorglich auch einen formellen Antrag auf barrierefreie Verhandlung.

Für eine Teilnahme an einer mündlichen Verhandlung durch mich wäre Barrierefreiheit erforderlich. Z.B. ist es wie bereits bekannt und durch mich nachgewiesen mir nicht möglich, daß ich vor Ort erscheinen würde oder auf eine Videoübertragung angewiesen wäre, die ebenso nicht barrierefrei wäre. Ebenso müßte die Verhandlung über einen längeren Zeitraum fernschriftlich abgehalten werden (min. 1 Woche), da es mir wahrscheinlich nicht möglich wäre zeitnah angemessen zu reagieren, beziehungsweise überhaupt ein nicht verschriftliches Geschehen auch nur zu erfassen.

Wenn ein nichtbehinderter Angeklagter die Möglichkeit bekommt selbst die Akte einzusehen, ein behinderter Angeklagter jedoch trotz Wissen des Gerichts um die vorliegenden Barrieren nicht, so ist auch dies in gleicher Weise nicht mit der Verfassung vereinbar und somit ein verfassungswidriges Handeln des Gerichts.

Insgesamt handelt es sich hier für mich um eine unzumutbare und offensichtlich stark rechts- wie verfassungswidrige Verfahrenssituation. Ebenso ist sie menschenrechtswidrig (und somit erneut verfassungswidrig). Die UN-BRK sieht angemessene Vorkehrungen zur Gewährleistung von Zugänglichkeit vor, die auf den Einzelfall hin zugeschnitten sein müssen. Reine Verweise auf Standardlösungen reichen demnach nicht aus.

Ebenso erhielt ich bisher keine Antwort des Gerichts, ob es eine Nebenklage gibt und ob diese auf irgendwelche Weise Einblick in intime Unterlagen erhalten könnte und diese möglicherweise für weitere Stalkinghandlungen mißbrauchen würde. […] Aus diesem Grund gehe ich nun in Zweifel davon aus, daß diese Gefahr in diesem Verfahren ebenfalls besteht. Und ich verbitte mir sehr deutlich diesen Umstand und die Konsequenzen daraus zu meinem rechtlichen Nachteil auszulegen. Dies wäre unzumutbar, da mir ein Selbstschutzinteresse auch in diesem Verfahren zusteht.

Die Art und Weise, wie das Gericht mit der Sache umgeht und versucht unter der bestehenden Drohung mit einer absurd hohen Geldstrafe […] in fragwürdiger und nicht nachvollziehbarer Weise irgendwelche Einwilligungen die seine innerste Intimsphäre berühren abzupressen zu versuchen ist in höchstem Maße bedrohlich und auch gemeinwohlschädlich, wenn so z.B. behindertenrechtsfeindlichen Angehörigen zugestanden wird mit Hilfe von vermutlich verfälschten oder falsch eingeordneten Beweisen durch Verfahrensbarrieren und Behindertendiskriminierung sich an wegen solcher Benachteiligungen durch Gerichte praktisch rechtlos gestellten dafür zu rächen, daß sie Versuche der Entrechtung […] effektiv vereitelten.“

„Mir ist weiterhin kein Anwalt im Gerichtsbezirk bekannt, der zu den erforderlichen Rahmenbedingungen bereit wäre, die Sie auch in Ihrem oben genannten Schreiben nocheinmal wiedergegeben hatten.

Sofern das Schreiben des Gerichts so zu verstehen ist, daß es (nach Ablauf einer Frist) einen Anwalt beiordnen möchte, der nach aktuellem Stand ebenfalls nicht bereit ist diese zu gewährleisten, so weise ich darauf hin, daß dies eine unzulässige Maßnahme sein dürfte, die das bekannte zugrundeliegende Problem auch nicht behebt. Dieser aktuelle Stand berücksichtigt […].

Was diesen aktuell zugewiesenen Anwalt betrifft habe ich bisher verzichtet genauer zu veranschaulichen, inwiefern ich zu meiner Einschätzung gelangt bin, da ich dazu auf Anwalt-Klient-Kommunikation inhaltlich Bezug nehmen müßte. Sofern das Gericht der Auffassung wäre, daß dies keine sozusagen von mir her schuldhafte Zerrüttung des Verhältnisses bedeuten würde, kann ich dies gerne nachholen.

Möglicherweise gibt es keinen Anwalt im Gerichtsbezirk, der dazu bereit wäre. Diesen Umstand kann das Gericht nicht einfach ausblenden.

Wie bereits hinreichend bekannt, wäre das Problem jedoch behebbar, wenn das Gericht endlich von seiner soweit zu erkennen rechtswidrigen Auffassung Abstand nimmt und mir eine Kopie der Akte zusenden würde oder wahlweise den bestellten Anwalt dazu bewegt dies zu tun (auch das war bisher nicht der Fall). Bisher habe ich daher weiterhin keine entsprechende Kenntnis dazu, was mir genau vorgeworfen wird. Auch hierzu verweise ich auf wohl hinreichend klare zurückliegende Schreiben.

Zudem weise ich darauf hin, daß das Gericht mir diverse Fragen z.B. zum Thema Pflichtverteidigung bisher nicht beantwortet hat.“

Wie dieses Verfahren wohl ohne Einstellung weitergegangen wäre? Wir mögen es uns lieber nicht vorstellen. Nur zu gut können wir uns jedoch vorstellen, wie es vielen Autisten in so einer Situation ergehen dürfte, die keinen verlässlichen Beistand der ESH haben (und sich selbst entsprechend konstruktiv gegenüber den Aktiven der ESH verhalten).

Allgemeine Verfahrenshintergründe II zu 1 BvR 957/18

Darüber hinaus stellt sich auch die Frage, ob ein Recht auf ein starr so verstandenes „rechtsstaatliches Verfahren“ nicht eher das Recht eines Klägers sein sollte, hingegen das Recht auf Barrierefreiheit ein Recht auch gegenüber der Justiz und dem Staat, der in diesem konkreten Verfahren sozusagen auch Prozeßgegner war.

Der heutige deutsche Unmittelbarkeitsgrundsatz steht in Beziehung zum ebenfalls auf Autisten schon seit langer Zeit negativ diskriminierend wirkenden, historisch gesehen so keinesweg selbstverständlichen Prinzip der Mündlichkeit in Gerichtsverfahren.

„Im deutschen Recht ist das Unmittelbarkeitsprinzip für den Zivilprozess in den § 128, § 309 und § 355 ZPO, für den Verwaltungsprozess in den § 96 und § 101 VwGO und für die Strafprozesse in den § 244, § 250 und § 261 StPO kodifiziert.

Der Grundsatz gilt für gerichtliche Verhandlungen und bedeutet, dass die Verhandlung in unmittelbarem, direktem Kontakt des Gerichtes zu den Prozessparteien und Prozessbeteiligten (Mündlichkeitsgrundsatz) an einem vom Gericht bestimmten Ort (dies muss nicht der Sitz des Gerichtes sein) oder mit Hilfe eines durch technische Hilfsmittel vermittelten unmittelbaren visuellen Kontakts (Zuschaltung zu einer elektronischen Konferenz) erfolgt. Eine bloß fernmündliche Verhandlung (Telefonkonferenz) ist nicht ausreichend.“
https://de.wikipedia.org/wiki/Unmittelbarkeitsprinzip

„Während im preußischen Aktenprozess der Schriftlichkeitsgrundsatz herrschte und nur Schriftliches zur Urteilsfindung berücksichtigt werden durfte (quod non legitur, non creditur beziehungsweise quod non est in actis, non est in mundo), wurde unter dem Einfluss des napoleonischen Code de procédure civile von 1806 mit Inkrafttreten der Reichsjustizgesetze 1879 die Gerichtsverhandlung in mündlicher Form, also durch den mündlichen Vortrag der Beteiligten vor dem erkennenden Gericht, eingeführt. 1924 wurde im Rahmen der sog. Emminger-Novellen die Bezugnahme auf Anträge und Schriftsätze möglich.

Die meisten Verfahrensordnungen schreiben den Mündlichkeitsgrundsatz ausdrücklich vor, so etwa § 128 Abs. 1 ZPO, § 33 Abs. 1 StPO oder § 101 Abs. 1 VwGO. Dies entspricht der Vorgabe des Art. 6 Abs. 1 EMRK.“
http:// https://de.wikipedia.org/wiki/Mündlichkeitsgrundsatz

An dieser Stelle sollte auch darauf hingewiesen werden, daß die Formulierung „Sein Begehren, die mündliche Verhandlung barrierefrei so durchzuführen“ in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht falsch ist, jedoch zugleich ziemlich mißverstanden werden kann.

Der autistische Kläger hatte im vorliegenden Verfahren einen solchen konstruktiven Vorschlag gemacht und dargelegt, wieso die Vorstellungen des Landessozialgerichts zur Barrierefreiheit der mündlichen Verhandlung nicht geeignet waren. Er hatte das jedoch ausdrücklich ergebnisoffen getan und das Gericht zu einer weiteren Auseinandersetzung über die Ausgestaltung aufgefordert. Das Gericht kam dem jedoch nicht in entsprechender Weise nach und legte sich darauf fest auf nicht barrierefreie Art zu verhandeln, insbesondere zu verlangen, daß der Kläger im Rahmen einer Teilnahme an der mündlichen Verhandlung in den Gerichtssaal kommen soll.

Ergänzend sei hier noch aus einem klägerischen Schriftsatz zitiert:

„Autisten können z.B. von unerwarteten Situationen (auch wenn das für Nichtautisten sachlich nicht nachvollziehbar wäre) so überfordert sein, daß es ihnen nicht möglich ist zeitnah darüber nachzudenken, bevor die innere Ordnung ersteinmal wieder grundlegender wiederhergestellt wurde. Somit sind Autisten manchmal oder in so einer Gerichtssituation auch ziemlich oft unfähig sich einzubringen, wenn die Situation nur in einem eng begrenzten Terminzeitraum behandelt würde, statt zeitentzerrt über einen angemessenen Zeitraum je nach Sachverhalt von wohl mindestens zwei Wochen.

Ein Beispiel das diese Thematik berührt:

„Dana

Not having enough time to process information can feel very confusing for an autistic person. In my case, I’ve always compared it to a computer crashing.

That’s what it can feel like when I don’t get the time to process all the information given to me! But, when I have all the appropriate things in place to help me process that information, my mind can understand everything. It helps me to have all the information given in a step-by-step fashion, whilst still being full of details I can easily understand!

However, there are some days where I don’t get this extra time to process information and this can affect me a lot, physically and mentally. While I’ve had a fair share of understanding, I’ve also had a fair share of ignorance. When people haven’t given me enough time to process information, it can lead to me feeling anxious as well as confused due to not understanding what’s going on and, in the worse-case scenario, I can have a meltdown.“
http://www.autism.org.uk/get-involved/tmi/stories/processing.aspx

„In less extreme cases, to process something takes seconds or minutes. Sometimes it takes days, weeks or months. In the most extreme cases, it can take years to process what has been said. The words, phrases, sentences, sometimes the whole situations are stored and they can be triggered at any time. You must be a detective to connect the child’s ‘announcement’ with the question he/she was asked a week before.“
http://integratedtreatmentservices.co.uk/blog/delayed-processing-in-autism

[…]

„The world can be an unpredictable, confusing place for autistic people, and that makes a set routine crucial for getting by. So when something unexpected still happens, it can feel like the whole world is spinning out of control.“
http://www.autism.org.uk/get-involved/tmi/top-tips.aspx

„An autistic person’s ability to understand or use spoken language can vary depending on their anxiety or stress
levels. For example, someone who is normally able to communicate well may have reduced ability due to underlying anxiety or sensory needs.“
http://www.autism.org.uk/about/communication/communicating.aspx

„Individuals with ASD may take a long time to digest information before answering, so do not move on to another question too quickly. […] Do not expect an immediate response to questions or instructions, as the person with ASD may need time to process them.“
http://www.autismwestmidlands.org.uk/upload/pdf_files/1406643451_InformationSheets_CJS_Web.pdf“

Das ist bei einer solchen Thematik auch bei rein schriftlicher Kommunikation möglich, weswegen Zeitentzerrtheit ein Faktor der Forderung nach erforderlicher Barrierefreiheit war. Diese würde auch den anderen Prozessbeteiligten ermöglichen zu antworten, wenn sie gerade keine anderen Verpflichtungen wahrnehmen.

Allgemeine Verfahrenshintergründe I zu 1 BvR 957/18

Neben den Fragen, die sich unmittelbar aus den veröffentlichten Gründen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts selbst ergeben, wirft die Entscheidung auch gewichtige Fragen auf, die nur in Kenntnis vorangegangener Instanzeninhalte erkennbar werden. Dieser Artikel will zu solchen Fragen einen allgemeinen Überblick bieten ohne intensiv und umfassend zu analysieren. Er bietet so gesehen einen zweiten groben Einblick in ein Verfahren mit vielen großen Fragezeichen, das in erschreckend weiten Teilen von uns auch nur schwer als rechtsstaatlich korrekt verhandelt eingeordnet werden kann. Hierbei handelt es sich zunächst offenbleibend um einen „ersten Teil“ dieser Thematik. Nutzt gerne die Kommentarfunktion dieses Artikels, um eure Gedanken mit uns zu diskutieren.

1.

Ein wesentlicher Punkt der Entscheidung ist der Verweis auf die Möglichkeit einen Bevollmächtigten zu beauftragen. Was das Bundesverfassungsgericht in seinen Gründen nicht erwähnt: In den Vorinstanzen war unter anderem auch seitenlang thematisiert worden, daß es für den Kläger sehr schwierig bis unmöglich ist einen Anwalt zu finden, der seinerseits bereit ist mit ihm in angemessener Weise und angemessenem Umfang barrierefrei zu kommunizieren. Zur Zeit der fraglichen mündlichen Verhandlung war er nicht anwaltlich vertreten. Gegenüber dem Bundessozialgericht wurden vielfache Absagen von Anwälten beispielhaft umfassend dokumentiert.

Was sagt das über die Entscheidung aus? Hat das Bundesverfassungsgericht die bei ihm eingereichten Unterlagen sorgfältig geprüft? Wenn wir davon ausgehen wollen: Verweist das Bundesverfassungsgericht also einen Autisten auf eine Möglichkeit, die er tatsächlich dargelegterweise gar nicht hat? Fragen über Fragen. Entscheidungen aller Instanzen waren auch zuvor davon gekennzeichnet, daß Gerichte in ihren Entscheidungen derartig zweifelhafte Überlegungen anstellten meist ohne diese vorher mit dem Kläger zu „besprechen“, ohne ihm Gelegenheit zu geben diese Überlegungen sachlich zu kommentieren, auf eventuell vorhandene Schwächen hinzuweisen. Soetwas würde sonst wohl oft in einer mündlichen Verhandlung möglich sein.

Wie kann in so einer Entscheidung also die in diesem Fall sehr naheliegende Möglichkeit vernachlässigt werden, daß ein Autist keine Person kennt, die sie als Vertretung beauftragen könnte? Geschweige denn eine Person, der sie wenigstens ansatzweise zutraut so einer Aufgabe in gewünschter Weise und zuverlässig nachzukommen? Welcher Nichtautist versteht Autismus so gut wie Autisten, die vergleichbare Barrieren aus ihrem Alltag kennen? In diesem Verfahren ging es auch noch direkt inhaltlich um genau dieses Thema. Welcher Nichtautist nimmt Autisten menschlich wirklich ernst? Nur wenige wirklich. Und was macht es mit den wenigen vielleicht vorhandenen Bekanntschaften, wenn diese Kontakte in solche Probleme hineingezogen werden? Wenn es Probleme gibt verschwinden die meisten Menschen. Soll ein Behinderte sich entscheiden müssen, ob er wenige vorhandene soziale Kontakte auch noch riskiert, um vielleicht seine Rechte gegen verbreitet vorkommende Widerstände, Entrechtungen im Alltag durchsetzen zu können? Reicht es dem Bundesverfassungsgericht die rein theoretische Möglichkeit als eine Art von Fiktion vorauszusetzen? Ganz davon abgesehen, daß inzwischen sonst eigentlich allgemein anerkannt wird, daß es sehr problematisch ist Behinderte darauf zu verweisen, sich von anderen Personen vertreten zu lassen? Daß das z.B. riesige Abhängigkeitsproblematiken mit sich bringt, Mißbrauch – und in diesem Fall erheblich verminderte Möglichkeiten des Zugangs zur Justiz an sich?

2.

Ebenfalls ein zentraler Punkt der Entscheidung dürfte die Frage der „Unmittelbarkeit“ sein. Weder Blinde noch Gehörlose stehen vor einer Zugangsproblematik ähnlich der im vorliegenden Verfahren. Blinde können in einer mündlichen Verhandlung normal reden. Sie benötigen barrierefreie Zuarbeit, sind aber von der Situation im Gerichtssaal nicht an sich überfordert. Gehörlose sollten z.B. mit einem „Übersetzer“ in ähnlicher Weise klarkommen. Für manche Autisten ist die Situation im Gerichtssaal jedoch selbst erheblich barrierehaltig. Im vorliegenden Fall wurde diese Ausgangslage sinnentsprechend auch vom Gutachter bestätigt, den das Landessozialgericht selbst beauftragt hatte:

„Aufgrund der Funktionsstörungen, die sich im Rahmen der Autismusspektrumsstörung ergeben ist der Proband auch ständig an der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen gehindert. Menschenansammlungen bedeuten für den Probanden eine massive Stressituation, er entwickelt dann eine Denkhemmung.“

Im weiteren Verlauf des Verfahrens wurde an diesen Umstand auch wiederholt weiter erläuternd erinnert. Übersehen worden sollte diese Tatsache daher eher nicht sein.

Es stellt sich also an dieser Stelle ganz allgemein die Frage, ob ein Staat das Recht haben soll alternativlos auf Verfahrensgewohnheiten zu bestehen, die für eine durch Strukturen allgemeiner Behindertenverbände noch immer marginalisierten Gruppe Behinderter schlichtweg unzugänglich sind.

In seiner Entscheidung konstruiert das Bundesverfassungsgericht einen vermeintlich riesigen Aufwand, den es für ein Gericht angeblich bedeuten würde in einem anderen Zeittakt zu verhandeln als sonst üblich. Oder geht es vielleicht auch um Bedenken der Kontaktaufnahme mit diesem sagenumwobenen „Neuland“, das es irgendwo da draußen ja geben soll und das inzwischen Milliarden von Menschen seltsamerweise auch regelmäßig zur Kommunikation mit Privatkontakten benutzen?

Selbst wenn man annehmen würde abgesehen von Gewohnheit würde hier noch ein anderes Kritierium eine bedeutende Rolle spielen: Die Zahl der Verfahren, die ein Gericht in dieser Weise führen müßte, wäre vermutlich recht überschaubar.

Wozu also eine solch intensive Einschränkung des unmittelbaren Zugangs zur deutschen Justiz? Wie kann sie unter diesen Umständen auch nur ansatzweise als angemessen betrachtet werden? Was ist das für eine Abwägung? Kann es angehen, daß formale Prinzipien des GG gegen Barrierefreiheit aufgewogen werden? Ein formales Kriterium sticht Menschenrecht aus?

Bundesverfassungsgericht: Autisten darf barrierefreier Zugang zu Gerichtsverfahren verweigert werden, weil sie vor Gericht auch jemand vertreten könnte

Frisch aus der Druckpresse: BvR 957/18 vom 27.11.2018 (wurde erst diese Woche zugestellt). Wir haben uns in diesem Fall entschieden zunächst hier nur den Inhalt der fragwürdigen Entscheidung zu veröffentlichen und die Einordnung dieses auch formal sehr komplex gewordenen Verfahrens später gesondert vorzunehmen. Macht euch ruhig ersteinmal eure eigenen Gedanken dazu.

Update vom 11.11.2022:

Gründe:

[…]

1. Das Benachteiligungsverbot des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG erschöpft sich nicht in der Anordnung, Menschen mit und ohne Behinderung rechtlich gleich zu behandeln. Vielmehr kann eine Benachteiligung auch vorliegen, wenn die Lebenssituation von Menschen mit Behinderung im Vergleich zu derjenigen nicht behinderter Menschen durch gesetzliche Regelungen verschlechtert wird, die ihnen Entfaltungs- und Betätigungsmöglichkeiten vorenthalten, welche anderen offenstehen (vgl. BVerfGE 96, 288 <302 f.>; 99, 341 <357>; 128, 138 <156>).

Bei der Anwendung und Auslegung von verfahrensrechtlichen Vorschriften müssen die Gerichte danach der spezifischen Situation einer Partei mit Behinderung so Rechnung tragen, dass deren Teilhabemöglichkeit der einer nichtbehinderten Partei gleichberechtigt ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 10. Oktober 2014 – 1 BvR 856/13 -, juris, Rn. 6). Entsprechende Vorgaben enthält auch Art. 13 Abs. 1 der UN-Behindertenrechtskonvention (United Nations Treaty Service, vol. 2515, p. 3), die in Deutschland Gesetzeskraft hat (Gesetz zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sowie zu dem Fakultativprotokoll vom 13. Dezember 2006 zum Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vom 21. Dezember 2008, BGBl II S. 1419) und als Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite der Grundrechte herangezogen werden kann (vgl. BVerfGE 111, 307 <317 f.>, 128, 282 <306>).

2. Es begegnet nach diesen Maßstäben gleichwohl keinen Bedenken, dass das Landessozialgericht die Gestaltung der mündlichen Verhandlung nach den Vorstellungen des unter […] Autismus […] leidenden Beschwerdeführers abgelehnt hat. Sein Begehren, die mündliche Verhandlung barrierefrei so durchzuführen, dass er – ähnlich den Abläufen in einem Online-Forum – über längeren Zeitraum mittels Computer von zuhause aus kommunizieren kann, wird von Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG nicht getragen.

Es kann offenbleiben, ob der Vortrag des Beschwerdeführers betreffend die Folgen seiner Erkrankung in medizinischer Hinsicht tatsächlich zutrifft. Denn es steht ihm jedenfalls offen, sich im fachgerichtlichen Verfahren durch einen Bevollmächtigten vertreten zu lassen (§ 73 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG) beziehungsweise sich in der mündlichen Verhandlung eines Beistands zu bedienen (§ 73 Abs. 7 SGG). Eine Partei anstelle einer unmittelbaren Teilhabe am Verfahren auf eine Vermittlung durch Dritte zu verweisen, kann im Einzelfall den Anforderungen des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG genügen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 10. Oktober 2014 – 1 BvR 856/13 -, juris Rn. 7). So liegt es hier.

Zwar besteht grundsätzlich ein berechtigtes Interesse eines Verfahrensbeteiligten, an der mündlichen Verhandlung teilnehmen und ihr folgen zu können, selbst wenn dies mit einem besonderen organisatorischen Aufwand verbunden ist (vgl. für Personen mit Hör- oder Sprachbehinderung § 186 Gerichtsverfassungsgesetz – GVG – sowie für blinde oder sehbehinderte Personen § 191a GVG). Daneben haben Gerichte das Verfahren stets nach pflichtgemäßem Ermessen unter Beachtung von Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG so zu führen, dass den gesundheitlichen Belangen der Verfahrensbeteiligten Rechnung getragen wird (vgl. Roller, SGb 2016, S. 17 <21 f.>).

Diese Verpflichtung besteht aber nicht uneingeschränkt und umfasst nicht in jedem Fall den Anspruch der Verfahrensbeteiligten, dass die mündliche Verhandlung nach ihren Vorstellungen ausgestaltet wird. Ein rechtsstaatliches Verfahren verlangt grundsätzlich eine durch die mündliche Verhandlung geschaffene Transparenz und die Wahrung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes. Auch müssen die personellen Ressourcen der Justiz so eingesetzt werden, dass möglichst viele Verfahren einerseits zeitsparend, andererseits in einem rechtsstaatlichen Anforderungen genügenden Rahmen behandelt und entschieden werden. Hierbei kommt der Konzentrationsmaxime (vgl. § 106 Abs. 2 SGG) mit Blick auf die Verpflichtung des Staates, allen Rechtsschutzsuchenden in angemessener Zeit Rechtsschutz zu gewähren (Art. 19 Abs. 4 GG), ein besonderer Stellenwert zu. Die Ausgestaltung der mündlichen Verhandlung, wie sie vom Beschwerdeführer begehrt wird, setzte sich zu diesen ebenfalls mit Verfassungsrang ausgestatteten Strukturprinzipien in Widerspruch.

Durch die Bestellung eines Bevollmächtigten beziehungsweise eines Beistands hätten im Ausgangsfall sowohl die Rechte des Beschwerdeführers als auch die dargestellten Prinzipien gewahrt werden und in einen schonenden Ausgleich gebracht werden können. Die mündliche Verhandlung kann durch einen Bevollmächtigten beziehungsweise Beistand gemeinsam mit dem Beschwerdeführer so vorbereitet werden, dass auf dessen gesundheitliche Beeinträchtigungen Rücksicht genommen werden wird und die Wahrnehmung seiner Rechte sowie die Berücksichtigung seines Vortrags gewährleistet ist. Das gilt umso mehr, als das Landessozialgericht dem Beschwerdeführer angeboten hat, ihm den der mündlichen Verhandlung zugrundeliegenden Sachbericht schriftlich vorab zu übersenden. Wäre es trotz dieser Verfahrensgestaltung zu einer Verhandlungssituation gekommen, die eine Stellungnahme des Beschwerdeführers unmittelbar erforderlich macht, hätte die mündliche Verhandlung vorübergehend unterbrochen und erforderlichenfalls vertagt werden können.“

Zur Werkzeugleiste springen