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Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hatte eingeladen … nach Berlin. In der Jugendherberge eingecheckt, besuchte ich den ersten Tag mit dem Thema „Teilhabebericht und Inklusionsforschung“. An der eher offiziellen Bekleidung ließ sich erkennen, dass einige Teilnehmer aus Repräsentations- und Interessenbereichen angereist waren, die Beamtenschaft, Wissenschaftsvertretung und Spitzenvertreter der Behindertenverbände vermuten ließen.
Da Staatssekretärin Dr. Annette Niederfranke wegen plötzlicher Erkrankung abgesagt hatte, übernahm die Beamtin des BMAS Frau Gitta Lampersbach die Einführung in die als barrierefrei bezeichnete Veranstaltung und erklärte, dass es eigentlich für diese Tagung gar kein Basispapier gibt, sondern lediglich Forschungsergebnisse zusammengetragen wurden, die eine ganz neue Art von Bericht der Bundesregierung zum Ziel habe.
Erstaunt war ich, wie mit wohltönenden leeren Lobesworten die Zuhörer wie in einem lauen Sommerregen eingeregnet wurden … es erinnerte mich an die Gute-Nacht-Geschichten, die ich meinem Sohn, als er klein war, vorgelesen hatte. „Klein“, das war wohl das Stichwort darüber nachzudenken, warum meine näheren und weiteren Sitznachbarn die eine oder andere Bemerkung machten wie „Das hören wir nun seit 20 Jahren, ohne dass sich was ändert.“
Offenbar waren die Kleinen mittlerweile erwachsen geworden, aber von der Bundesregierung weitgehend unbemerkt? Mit 20 Jahren würden die Vertreter im Publikum also zu den „jungen Wilden“ gehören. Als Kind von Fluxus, mit Beuys in Filz und Fett aufgewachsen und in die 68er hinein protestiert war ich mehr als gespannt auf Aktion und Reaktion bei dieser Veranstaltung.
Nach einem Monolog in wissenschaftlichem Fachvokabular versicherte man sich worthülsig der gegenseitigen Geneigtheit und Anerkennung der Kompetenz und ließ sich selbstgefällig in „Leichte Sprache“ übersetzen. Der Aufwand, der betrieben wurde, die vielen verschiedenen Daten zu erheben, wurde von allen Beteiligten als Arbeit beschrieben, die viele Stunden Zeit und Engagement gekostet habe.
Upps, dachte ich zum ersten Mal: Ob auf dem Podium realisiert wird, dass unter den Teilnehmern nicht wenige Menschen sind, die im Ehrenamt über Jahrzehnte einen großen Teil ihrer Freizeit unentgeltlich zur Verfügung stellen und die diese Eigenbelobigung der Wissenschaft als zynisch empfinden könnten? Ob von den anwesenden Wissenschaftlern mit einem monatlichen Durchschnittseinkommen von 4.000 – 7.000 EURO noch darüber nachgedacht werden kann, dass im Publikum behinderte Menschen sitzen, die für die Berlinreise den Sozialhilfesatz eines ganzen Monats zusammensparen mussten, um ihre Rechte in Berlin zu vertreten?
Aber Reaktion gab es auf diese überdimensionierte Präsentation der Wissenschaft aus dem Publikum nur in den Bart gemurmelt und mit höflicher Fragestellung. Auf die Frage, warum bei der nachmittäglichen Podiumsdiskussion lediglich universitäre Vertreter und Vertreter großer Behinderteneinrichtungen, insbesondere große Heimbetreiber, auf dem Podium mitwirken würden, wurde zwischenzeilenwortreich geschwiegen.
Auf kritische Nachfragen an Wissenschaftler wurde eher patzig reagiert, man verstehe seinen Beruf.
Frau Dr. Anne Waldschmidt, die staccatohaft auf den Behinderungsbegriff der disability studies als interdisziplinäre Wissenschaft verwies, in dem Behinderung nicht mit medizinisch diagnostizierbaren Beeinträchtigungen gleichgesetzt werden kann, sondern in der Regel aus gesellschaftlich konstruierten Barrieren hervorgeht (Barrieren hindern Menschen daran, am gesellschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Leben teilzunehmen), erhielt erste laute Zustimmung von den Teilnehmern, die wiederum betonten, dass auch das eine olle Kamelle sei, die immer wieder hervorgeholt werde, ohne dass sich wirklich etwas ändere.
Wirkte die Umsetzung der Veranstaltung psychedelisch in Richtung „Make love not war“ oder hatten auch andere Interessenvertreter noch gut im Gedächtnis wie eine Vertreterin ebendiesen Ministeriums bei einer früheren Veranstaltung überdeutlich darstellte wie zentral für ihr Haus sei, daß Anliegen freundlich herangetragen werden – eine Aussage die in einem erschütternden Maße für sich selbst spricht, indem sie verdeutlicht, daß man Behinderte noch immer fest als Bittsteller empfindet, nicht als Minderheiten, die bestimmte Rechte haben, die angesichts massivster Diskriminierungsfolgen in jeder Weise eingefordert werden können.
Douglas Ross, der sich als Sprecher „nicht computerorientierter“ Autisten präsentierte, lud zur Zusammenarbeit ein. Die Lacher, die seine Formulierung hervor rief, registrierte ich als ein Lachen über Behinderte und wunderte mich über diese Platzierung. Im Wissen um die besondere Sinnesempfindsamkeit von Autisten dachte ich darüber nach, wie sein schweigender autistischer Sohn einen ganzen Tag von morgens bis abends auf einer Tagung aushielt und auch noch einen lauten Film ertrug.
Nachdem doch einiges über das Selbstverständnis inkludierter Gemeinschaft gesagt wurde und dass es ein miteinander und aufeinander Eingehen und Zugehen geben sollte, trat dann die „Blind Foundation“ auf, eine Band aus sehenden und blinden Musikern. Für mich als musikalische Rheinländerin war es sehr befremdlich, dass sich zu den Rhythmen der Musik niemand bewegte, wo doch gerade vom „Aufeinander-zu-Bewegen“ die Rede war. Eine freundliche Sitznachbarin meinte dann, dass Wissenschaftler das wohl eher als unseriös betrachten würden, was mich ins Grübeln brachte:
Wie soll Bewegung in die Reihen und die Gruppen kommen, wenn an den verkopften und eingefahrenen Mustern festgehalten wird?
Als ich die Agentur Meder, die die Inklusionstage für das BMAS organisierte, informierte, dass entgegen der Aussagen der Rednerin des Ministeriums die Veranstaltung nicht barrierefrei sei, weil kein Livestream für Autisten eingerichtet wurde, die nur von zu Hause aus an einer Veranstaltung teilnehmen können, bedauerte man dies anscheinend erschreckt zutiefst. Es sei nicht gewusst worden und würde künftig bei der Agenturorganisation Berücksichtigung finden. Nach bisheriger Erfahrung wird das vermutlich bis zur nächsten Veranstaltung wieder vergessen sein oder nie zu den wirklich Verantwortlichen weitergegeben, denn oft geht es eher darum sich mithilde überschäumender Nettigkeitssimulationen nicht unnötig angreifbar zu machen. Schließlich wurde dieser Hinweis bereits vor Jahren gegeben. Der Hinweis, kontrastarme Treppenstufenkanten künftig farblich abzukleben, wurde ebenfalls notiert.
Am Abend konnte der Film „GOLD – Du kannst mehr als du denkst“ angeschaut werden. (Mehr: http://kino.de/kinofilm/gold-du-kannst-mehr-als-du-denkst/134761) Es wurden darin 3 Sportler im Vorfeld der paralympics 2012 in London in ihrem Privatleben und in der Vorbereitung zu diesem sportlichen Ereignis vorgestellt … die Schwimmerin Kirsten Bruhn aus Deutschland, der Rennrollstuhlradfahrer Kurt Fearnley aus Australien und der Läufer Henry Wanyoike aus Kenia.
Mir persönlich war der Film zu stark darauf ausgerichtet, dass Behinderte sich selbst und auch der Menschheit etwas beweisen wollten (mussten?), ich stand aber mit dieser Meinung soweit zu erkennen allein da. Mir blieben aus diesem Film andere Menschen weit lebhafter in ihrem Selbstverständnis in Erinnerung: die Ehefrau des blinden Läufers, weil sie einfach nur mit einem zärtlichen Menschen leben wollte, der Begleitläufer, der ihn in den Sieg begleitete bis zur völligen Verausgabung und der in seinem Wesen an einen Blindenhund erinnerte und die Kinder des Rollstuhlfahrers, als Vater auf Augenhöhe mit ihnen spielte.
Wolken aus Plastik – wie gemunkelt wird ein Lieblingsmotiv von Ursula von der Leyen
Der zweite Veranstaltungstag war dem Thema „Bürgerschaftliches Engagement von Menschen mit Behinderungen“ gewidmet. Um gleich beim Thema zu bleiben: An beiden Tagen wurde immer wieder auf den Anspruch der Inklusion hingewiesen, Vielfalt zu leben, aber in der Ausdrucksweise fand sich bei allen Vortragenden eine überkommene Formulierung vom Menschen „mit Behinderung“, die immer wieder das überaltete Denkmodell der Behinderung als Persönlichkeitsmerkmal aus der Schublade zog. Vielfalt hat keine Behinderung, aber in der Vielfalt findet Behinderung immer noch statt und muss verschwinden!
Bei der Einführung wurde erwähnt, dass sich 23 Millionen Menschen in Deutschland ehrenamtlich engagieren. Erstaunlich auch hier die freundlichen Worte über das persönliche Engagement und relativ wenig politische Äußerung, warum in diesem Staatswesen Ehrenamt so stark erforderlich ist. Sozusagen als Motor wurde transportiert, dass der Mensch sich im Ehrenamt gut fühle und sein Selbstwertgefühl steige. Hm, dachte ich so bei mir: Fühlst du dich tatsächlich gut, wenn du vor Ort gerufen wirst, weil mal wieder ein Jugendamt Eltern die Entziehung des Sorgerechts androht und ihren 10jährigen Autisten in die Kinder- und Jugendpsychiatrie einzuweisen androht, wenn Eltern sich zum Wohl ihres Kindes gegen Vorschläge von Pharma- und Konditionierungsvertretern auflehnen? Lässt die Unkenntnis und der systematische Unterstellungsdreck in Behörden und seine Ausräumung vor Ort tatsächlich dein Selbstwertgefühl steigen? Das konnte ich für mich mit einem klaren NEIN beantworten. Blieb die Frage, ob das veranstaltende Ministerium es als eigene Leistung ansieht durch seine Politik solche ehrenamtlichen Leistungen von Bürgern mit Unrechtsbewußtsein auf ganz spezielle Art dauerhaft zu fördern.
An diesem zweiten Tag lag der Schwerpunkt der Veranstaltung darauf zu zeigen, was in der Praxis (anders) gemacht wird, wie stark sich behinderte Menschen für ihre Rechte engagieren und dass dieses Engagement weitgehend unbekannt ist. Prof. Dr. Theresia Degener stellte das Inklusionsmodell als Menschenrechtsmodell vor, in dem der Mensch nicht nur seinen Anspruch auf Inklusion im gesellschaftlichen Kontext, sondern als Menschenrecht hat, was – verständlicherweise gerade dort – lauten Beifall fand. Bezeichnend ist, dass die von den Vertretern der Behindertenverbände am stärksten mit Beifall bedachten Beiträge Weißhaupt und Degener über politisch relevante Aussagen zu Behinderung im filmischen Zusammenschnitt des BMAS keinen Niederschlag gefunden haben.
Dr. Nicole Schmidt von „mittenmang SH e.V. zeigte auf, dass sie persönlich an einem Scheideweg anlangte und die Thematik mit Gleichgesinnten selbst in die Hand nahm und seither lebt.
Behinderte Menschen bei ihren Tätigkeiten vorzustellen und gleichzeitig mit den Verdiensten der Vermittler den Anschein zu erwecken, als würde es ohne diese organisatorischen Nester kaum gehen, lässt immer wieder akut die Frage nach dem „Best-Style“ aufkommen, insbesondere wenn sich große Organisationen über die Beratung und die Bedürfnisse von Betroffenen großzügig hinweg setzen. Während bei der Vorstellung von „Beste-Praxis-Beispielen“ durch das Diakonische Werk Hamburg und der Bundesvereinigung Lebenshilfe e.V. kaum menschliche Selbstspiegelung vermittelt wurde, erzählte Jana Schulze von der Freiwilligenagentur Magdeburg überzeugend von der Entwicklung, die die Organisatoren nahmen, von ihren Irrtümern und ihren Richtungsänderungen, was beim Publikum gut ankam.
Da Online-Teilnahme an gesellschaftlichen Prozessen eine wichtige Forderung von Autisten darstellt, nahm ich am Workshop 4 „Online Volunteering“ teil und zeigte dort auf, dass Autisten ihre Gesellschaftsteilnahme über Medien gestalten, dass das nicht heißt, dass sie keine persönlichen Kontakte haben, dass es einer Offenheit bedarf, diese schon recht alten Kommunikationsmittel von behinderten und nichtbehinderten Menschen zum Ausräumen von Barrieren zu benutzen, dass durch fernschriftliche Online-Kommunikation auch anderen behinderten Gruppen die Möglichkeit der gesellschaftlichen Teilnahme ermöglicht wird (und dass insbesondere durch Onlinebeschulung an Schulen und Universitäten) und dass Kompetenzen, die bisher in der Gesellschaft brach liegen online erschlossen werden können.
Es wurde auch thematisiert, dass die Versuche von Autisten, ihre politische Mitarbeit über Onlineverfahren einzufordern, kläglich an der mangelnden Flexibilität der vermeintlichen Mitstreiter scheiterte, die eher in gewohnten Bahnen zu persönlichen Anwesenheiten und den damit verbundenen Strukturen tendieren. Die Teilnehmer diskutierten, dass Online-Konferenzen im internationalen Gespräch wegen der großen Entfernungen selbstverständlich sind, während sie im nationalen Bereich immer noch auf Ablehnung treffen.
Der Impulsgeber Hannes Jähnert meinte hierzu, dass der Beweggrund vielleicht darin zu suchen sei, dass der Mensch sich selbst am Menschen erleben wolle und dass ihm das gut tue. Ich wies darauf hin, dass dies von Autisten anders gesehen werde. Meine persönlichen Beweggründe seien z.B., in einer Gesellschaft die Vielfalt der Kommunikationsmöglichkeiten zu erhalten oder ggf. mit zu gestalten, wo Teilhabe gefährdet oder nicht vorhanden sei. Moderator Rául Aguyo-Krauthausen gab zu bedenken, dass das Vorantreiben der Onlinebeteiligung dazu führen könnte, dass andere behinderte Menschen mit Onlinemöglichkeiten abgefunden und in den Hintergrund treten könnten, worauf aber aus der Teilnehmerschaft gesagt wurde, dass diese Gefahr immer bestehe aber kein Grund sei, Teilhabe zu verweigern.
Befremdlicherweise waren diese klaren Aussagen zu Positionen der ESH bei der späteren Vorstellung der Workshop-Ergebnisse durch Rául Aguyo-Krauthausen gegenüber allen Veranstaltungsteilnehmern nicht mehr zu erkennen und gingen komplett nach allgemeiner Lob-Floskelei in einer bedeutungsarmen Wortwolke unter.
Als bezeichnend erschien mir auch die Besetzung der Abschlussdiskussion auf dem Podium mit einer Wissenschaftlerin, einer Beamtin und der Vertreterin von AKTION MENSCH. Schmerzhaft wurde mir bewusst, dass die Vertretung der gesellschaftlichen Belange behinderter Menschen in Deutschland ganz maßgeblich von einer Lotterie abhängt und auch oft genug eine Lotterie darstellt. Wie witzig es zugehen kann, machte ihre Vertreterin Frau Christina Marx deutlich: Sie sagte, dass sie den Slogan der Inklusionstage „Einfach MACHEN“ anders betonen wolle und den Schwerpunkt auf „EINFACHmachen“ lege. Wer je einen Antrag bei der AKTION MENSCH stellte, konnte nur offenen Mundes über so viel Chuzpe staunen!
Da es immer die letzten Eindrücke einer Veranstaltung sind, mit denen Teilnehmer sich auf die Heimreise begeben, war es recht wohltuend, dass die Hip Hop Formation „New Hope Generation“ der Patsy & Michael Hull Foundation e.V. zum Ende der Veranstaltung zeigen durfte, was sie tänzerisch und akrobatisch kann. Die Kinder und Jugendlichen schafften es, dass zum ersten Mal Lockerheit in die Teilnehmer einzog. Frau Lampersbach bedankte sich für die Teilnahme der hoffnungsvollen Generation mit der Aussage, dass die Gruppe zum wiederholten Mal unentgeltlich auftrat.
Schluck! Mir wurde heiß und kalt, weil ich mich an die Schokoladen-Petit fours mit Blattgold, die mir nach dem Mittagstisch gereicht wurden, erinnerte. Sollte etwa Geld für einen außergewöhnlichen Veranstaltungsort, eine aufwendige Küche freundliche und sehr straff geführte Bewirtungsmitarbeiter da gewesen sein und das Geld nicht mehr gereicht haben, den Kindern eine Gage zu geben?
Zufällig traf ich einige dieser Kinder auf den Toiletten, welche diese auch als Künstler-Garderoben nutzten. Den jungen Künstlern wurden Anfahrt, Hotelaufenthalt und auch eine kleine Gage bezahlt und ich fragte mich, warum die Vertreterin des Ministeriums zuvor eine solche Falschdarstellung betrieb. Ob den Vertretern der Behindertenverbände vermittelt werden sollte, dass die nächste Generation von Ehrenamtlern heran wächst und die Tradition der Unentgeltlichkeit der Fachleute in eigener Sache sowie die Kleinarbeitung der selbstbestimmten Interessenvertretungen durch politisch gewollte Schikane-Bürokratie weiter erhalten werden kann, während die Verwalter und wissenschaftlichen Faktensammler des Phänomens Behinderung weiter üppig in Lohn und Brot stehen sollen?
Es sind Autisten, denen immer wieder nachgesagt wird, sie würden in einer anderen Welt leben. In Berlin durfte ich erleben, dass zwei völlig verschiedene Wahrnehmungswelten an einem Veranstaltungsort zusammen trafen, ohne dass der Eindruck erweckt wurde, dass die einen in die der anderen einkehren können. Diese groteske Situation wurde von einigen Teilnehmern bestätigt und als bereits lange fest bestehend bezeichnet. Die Politik verspricht seit Jahrzehnten viel, vielleicht um offenen Widerstand abzubügeln mit Verweis auf die ja angeblich anstehenden Änderungen?
Wenn behinderte Menschen Sorge oder gar Angst haben, verbindlich sein zu müssen, um es mit den Geldgebern und „Wohltätern“ nicht zu verderben, dann wird ein völlig falscher Ansatz gelebt. Derjenige, der die Kompetenz besitzt müsste die Bedingungen gestalten. Ohne die Mitarbeit behinderter Menschen hat die Politik nichts vorzuzeigen und die Wissenschaft nichts zu forschen und zu berichten.
Es wurde von der ESH gebeten, Vortragmanuskripte, Arbeitsergebnisse der Workshops, Fotos, Kameraaufnahmen und die Protokolle der vereinfachten Sprache zur Verfügung bzw. ins Netz zu stellen, damit „computerorientierten“ Autisten im Nachhinein annähernde Barrierefreiheit hinsichtlich der Teilnahme an den Inklusionstagen 2013 des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales gewährt wird. Dies erfolgte trotz Nachfrage nicht.
Im Verlauf einer Veranstaltung mache ich meist ein Foto des leeren Veranstaltungsraumes, um mir zum Abschluss vergleichend ein Bild davon machen zu können, was den Unterschied gemacht hätte, wenn die Stühle und Sessel leer geblieben wären. Es gab sie, kurze warme Gespräche mit Teilnehmern am Rande, die in einer Kneipe oder im Park weitergeführt viel Zusammenhalt und Zusammenarbeit hätten ergeben können. Beim Nachdenken über die Inklusionstagung aber fand ich außer vielen leeren Seiten in dem mir ausgehändigten speziell bedruckten Tagungsnotizbuch keinen festgehaltenen Gedanken, den ich als ungewohnt, vorantreibend oder erneuernd betrachten konnte, entdeckte trotz neuer Strategien keine Veränderung in den Standpunkten und erinnerte mich überwiegend an einen Wortbrei konfliktvermeidender Artigkeiten und so muss ich persönlich konsequenterweise dem geneigten Leser bildlich aufzeigen, dass diese Veranstaltung trotz hohem Organisationsaufwand und formalem Können ohne Menschen ein ähnliches Ergebnis gehabt hätte wie mit:
Wer schon immer wissen wollte wie man
– behinderte Teilnehmer von Seiten einer Behindertenrechtsorganisation diskriminieren
– unter Verwendung einer fünfstelligen Summe ein formal ungültiges Ergebnis erzielen
– das selbstgeschriebene Statut ignorieren
– organisiert von einem Verein, für den ein Regierungsmitglied juristisch vertretungsberechtigt ist, regierungsfern sein
kann, den könnte diese Glosse interessieren.
Willkommen in der ganz besonderen Welt der deutschen Behindertenpolitik.
Einer Welt, in der behinderte Interessenvertreter noch immer in der Minderzahl sind. Einer Welt, in der es völlig normal ist mit Organisationen gemeinsame Sache zu machen, die man zutreffend wohl als Heimkonzerne bezeichnen könnte. Einer Welt, in der man nicht barrierefrei diskutieren muß, weil ja eh schon alles diskutiert wurde. Und weil Denken anstrengend ist, gerade auch wenn man zur Sondermülldeponie sonderpädagogischen Gedankenguts sozialisiert wurde. Einer Welt, in der tatsächliche echte Behindertenvertreter nicht selten kaum einen theoretischen Wissenshintergrund zu dem haben, über das sie sich auslassen.
Einer Welt, die entgegen ihrem Selbstverständnis die konsequente Umsetzung von Behindertenrechten in Deutschland unterm Strich wahrscheinlich deutlich stärker behindert als die Allgemeinpolitik. Was sie natürlich unter keinen Umständen wahrhaben will. Weil man schließlich etwas tun muß. Was auch immer. Und überhaupt, wo man doch auch gar keine Zeit hat.
Lektion 1 – Wir sind alle unheimlich begeistert
Kommt alle her, die ihr mühselig und beladen seid, die ihr euch mit dem Thema Behinderung befasst. Wir schreiben einen Parallelbericht, der dem in der Tat ziemlich fragwürdigen deutschen Staatenbericht zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention einen möglichst breit getragenen Bericht von Nichtregierungsorganisationen gegenüberstellen soll. Das wird gut und wir können uns sicher sein, daß es gut sein wird, weil wir gut sind. Deswegen muß man einen Vorschlag der ESH, das Stimmgewicht von Organisationen, die nicht von Behinderten geleitet werden, zu beschränken, auch gar nicht diskutieren. Würde auch die Begeisterung stören, denn wir wollen ja das Richtige aufzeigen und nicht uns gegenseitig kritisch betrachten. Wir sollten uns schon vertrauen, daß es alle Beteiligten gut meinen, auch die, die Millionen mit Einrichtungen umsetzen, die mit der UN-Behindertenrechtskonvention eigentlich gar nicht vereinbar sind.
Soviel Glaube an den Sieg des Guten. Den muß man wohl auch haben, wenn eine Organisation, für die ein Mitglied einer Landesregierung (Landesbehindertenbeauftragter) rechtlich vertretungsberechtigt ist, ein gemeinsames regierungsunabhängiges Positionspapier erstellen will. (Update: Kurt Beck, der Ministerpräsident, der den fraglichen Behindertenbeauftragten in seine Regierung holte, ist nun Pharmalobbyist bei Boehringer-Ingelheim: Quelle) Man sollte das nicht so kleinlich sehen, immerhin ist die im fraglichen Bundesland dominierend regierende Partei seit einigen Jahren nicht mehr im Bund an der Regierung beteiligt gewesen. Gut, der ehemalige Koalitionspartner sitzt ebenso mit in der aktuellen Bundesregierung. Das wird schon alles stimmen, schließlich ist das alles ungeheuer seriös und auch finanziell gefördert von der „Aktion Mensch“. Gut, die frühere „Aktion Sorgenkind“ ist ein Projekt das dem „Adenauerfernsehen“, dem staatsnahen und öffentlich finanzierten ZDF, entsprang. Also dem Fernsehsender dem klassischerweise eine tendenzielle Nähe zur CDU unterstellt wird, die ja auch zufällig gerade die Bundesregierung führt, die den fraglichen Staatenbericht vorgelegt hat. Aber man muß das halt professionell sehen. Sowieso, immer.
Lektion 2 – Wir beschließen ein Statut, aber gründen keinen e.V.
Ja, denn wir wollen uns auf die Sache konzentrieren, um die es geht, nämlich die Einforderung der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland. Da sind wir alle für. Voll total. Auch die, die sonst ja eigentlich nicht dafür sind und üblicherweise als Bremser in Erscheinung treten. Damit alles geregelt wird, beschließen wir ein Statut. Da stehen auch tolle Sachen drin.
Was bedeutet das eigentlich juristisch gesehen, wenn man sowas beschließt, aber keinen e.V. gründet, weil ja nur ein Zusammenschluß für diesen einen begrenzten Zweck beabsichtigt ist und kein neuer Dachverband, derer es ja offenbar schon viel zu viele gibt (nur ein Dachverband von Organisationen, die tatsächlich klar von Behinderten dominiert werden fehlt irgendwie noch, zumindest ist der ESH in Deutschland keiner bekannt)? Na, das bedeutet … man hat halt was gegründet woran man sich halten will. Voll unkompliziert. Und gleich mit festgeschriebenen undemokratischen Sonderrechten für die initiierende Organisation, die bereits oben erwähnt wurde. Super!
Lektion 3 – Wenn die Übernahme von Verantwortung gefragt ist, warum nicht mal kandidieren
Weil das alles so super läuft hat ein ESH-Vertreter auch die Idee sich für eine Kandidatur für das Steuerungsgremium anzubieten. Als Aufpasser.
Zitat aus der betreffenden „Kandidatenvorstellung wrote:
Die Motivation mich hier einzubringen ist vielmehr in der Sorge
begründet, daß wir Behindertenverbände es wieder einmal nicht schaffen
zweifellos auch in der Allianz zu erwartende Lobbyinteressen, die den
eigentlichen Zielen der Allianz und der CRPD widersprechen möglichst
weitgehend aus dem Bericht herauszuhalten. Deswegen halte ich es für
wichtig, daß von Behindertenseite möglichst viele Vertreter maßgeblich
mitwirken, die rhetorisch und intellektuell auch in der Lage sind diese
Aufgabe möglichst gut zu erfüllen. Leider stelle ich auch immer wieder
fest, daß die Erkenntnisse der Disability Studies auch noch immer nicht
von allen Behindertenverbänden vollumfänglich nachvollzogen wurden und
auch daraus eine Gefahr für die Qualität des Parallelberichts erwachsen
kann. Wie sollen wir von der Gesellschaft verlangen dieses Wissen
umzusetzen, wenn wir selbst keinen Parallelbericht vorlegen sollten, der
diesbezüglich auch tadellos ist?
Entweder gefiel diese Einstellung oder keiner hat die Vorstellungen gelesen, manche Fragen werden vielleicht nie gelüftet werden. Zumindest fiel die Wahl tatsächlich auf den ESH-Kandidaten. Die anderen Vertreter in diesem Gremium zählen mehrheitlich nicht persönlich zu behinderten Bevölkerungsgruppen, aber Sorgen muß man sich natürlich nicht machen, alle sind ja vollkommen erfüllt vom gemeinsamen Ziel.
Lektion 4 – Haftung? Aber wir haben doch noch gar keine dritten Zähne
Wie ist das eigentlich mit der Haftung, wenn man nun ein durchaus relevantes Amt in so einer Organisation innehat? Das hängt dann wohl an der Frage welche Rechtsform vorliegt? Rechtsform? Wieso Rechtsform? Wir haben doch gar keinen e.V. gegründet. Naja, es ist gemein, aber der deutsche Gesetzgeber ist tatsächlich der Ansicht, daß alles irgendeine Rechtsform hat. Voll fies:
Bundesjustizministerium wrote:
Wird der Verein nicht eingetragen, so spricht man vom nichteingetragenen Verein oder auch nichtrechtsfähigen Idealverein. Sowohl der rechtsfähige als auch der nichtrechtsfähige Verein kann Träger von Rechten und Pflichten sein, kann klagen und verklagt werden und Vermögen erwerben. Unterschiede zwischen rechtsfähigem und nichtrechtsfähigem Idealverein bestehen jedoch beim Haftungsrecht: Zwar haften die Mitglieder weder beim eingetragenen noch beim nichteingetragenen Verein persönlich für die Verbindlichkeiten des Idealvereins. Beim nichteingetragenen Verein haften die für den Verein handelnden Personen aber neben dem Verein auch persönlich für Rechtsgeschäfte, die im Namen des Vereins abgeschlossen werden (§ 54 Satz 2 BGB). Handelnde Person ist jede Person, die im Namen des Vereins direkt tätig wird und in irgendeiner Weise als Teil des Vereins in Erscheinung tritt.
Ja, aber das wird eben schon alles so in Ordnung sein. Nur keine Sorge, es gibt ja ein Statut. Und überhaupt, ist doch alles total seriös. Und außerdem ist das ja wenn dann das Problem anderer Leute, wenn doch was schiefgehen sollte. Aber das passiert ja nicht. Schon darum, dings.
Lektion 5 – Gelebte Inklusion, Diskriminierungs- und Barrierefreiheit: Barrierefreiheit ist kein Grundrecht, sondern ist ganz normale Abstimmungsmasse
Nachdem der erste ESH-Vertreter sich mit einem Eindruck wie in einer Mobbingsituation frustriert aus diesen Aktivitäten zurückzog, weil z.B. wesentliche Absprachen ausschließlich in Vor-Ort-Treffen beschlossen wurden, obwohl bekannt war, daß dies nicht barrierefrei war, zeigten sich mehr und mehr Mängel im Umgang miteinander. Gut, die Situation war neu, man mußte sich kennenlernen. Es soll hier nicht um „Kleinigkeiten“ gehen.
Nachdem sich immer mehr abzeichnete, daß die anderen gewählten Mitglieder des auch aufgrund der beschlossenen Wahlregeln mehrheitlich von Nichtbehinderten besetzten Steuerungsgremiums gleichwertige Kommunikation mit dem autistischen Mitglied weitgehend verweigerten, nahmen die Versuche zu, diesen Personen zu erklären, welche Barrieren es in dieser Situation gibt. Darauf erfolgte wieder weitgehend keine Antwort. Die bisherige Teilhabelösung basierte aber wesentlich auf der Grundannahme, daß auch qualitativ hochwertiger fernschriftlicher Austausch stattfindet und generell bei allen Beteiligten ein ausreichend guter Wille vorhanden ist niemanden behindernd zu benachteiligen. Die Amtsausführung wird weitgehend nur unter Umständen ermöglicht, die nicht ausreichend barrierefrei sind. Es zeigt sich, daß viel später Beschlüsse behauptet wurden, von denen der autistische Amtsinhaber überhaupt nichts mitbekommen hatte.
In dieser Situation stellte der ESH-Vertreter schließlich fest, daß er diese Rahmenbedingungen nicht mehr mittragen kann und forderte zu einer Neukonzeption der Barrierefreiheit auf, verweist bis dahin auf den fernschriftlichen Weg, über den auch bereits einige Entscheidungen getroffen wurden.
Nun passierte etwas sehr Erstaunliches. Amtskollegen teilten per Mail im Stil einer Abstimmung mit, ob sie dafür sind oder nicht.
Moment mal, was stand da noch im Statut?
Zitat:
3. Beteiligte und Unterstützende(1) An der BRK-Allianz können sich nur deutsche Nichtregierungsorganisationen (Non Governmental Organizations – NGOs) beteiligen, die sich für die volle Verwirklichung der Rechte von Menschen mit Behinderungen einsetzen. Eine NGO ist dadurch gekennzeichnet, dass sie nicht gewinnorientiert ausgerichtet und parteipolitisch unabhängig ist, sowie keinen staatlich/öffentlich-rechtlichen Status bzw. keine staatlich/öffentlich-rechtlichen Aufgaben zu erfüllen hat.
Volle Verwirklichung, eine sehr weitreichende Formulierung, die aufgrund des ausdrücklichen Bezugs zur UN-Behindertenrechtskonvention auch ziemlich konkret in die Praxis übertragen werden kann. Fraglich wäre an dieser Stelle wohl, ob es eine „angemessene Vorkehrung“ wäre bis zur Einigung auf eine andere geeignete Lösung zu fernschriftlicher Kommunikation überzugehen.
Die behinderungsbedingende zu geringe Lesegeschwindigkeit anderer Amtsinhaber stand dem auch nicht entgegen. Ohnehin wäre die nicht gewichtiger als die Barrieren für einen Autisten. Über den Vorzug einer bestimmten Gruppe verbietet sich selbstverständlich auch jede Abstimmung.
Es entspann sich auch keine Diskussion darüber was wohl als angemessene Vorkehrung anzusehen wäre. Die wäre für die Gegenseite auch schwierig geworden angesichts der Standpunkte innerhalb der Behindertenrechtskonvention und der Tatsache, daß ein ärztliches Attest vorlag:
Zitat:
Artikel 29 Teilhabe am politischen und öffentlichen LebenDie Vertragsstaaten garantieren Menschen mit Behinderungen die politischen Rechte
sowie die Möglichkeit, diese gleichberechtigt mit anderen zu genießen, und verpflichten
sich,
[…]
b) aktiv ein Umfeld zu fördern, in dem Menschen mit Behinderungen ohne
Diskriminierung und gleichberechtigt mit anderen wirksam und umfassend an der
Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten teilhaben können, und ihre
Teilhabe an den öffentlichen Angelegenheiten zu begünstigen, unter
anderem
i) die Teilhabe in nichtstaatlichen Organisationen und
Vereinigungen, die sich mit dem öffentlichen und politischen Leben ihres Landes
befassen, und an den Tätigkeiten und der Verwaltung politischer Parteien;
Lektion 6 – Best Practice bei Diskriminierungsvorwürfen: Ignorieren und weitermachen
„Die Lebenshilfe fordert Menschen mit Behinderung auf: Sagen Sie selbstbewußt Ihre Meinung. Auch in der Öffentlichkeit.“
Zitat aus dem Grundsatzprogramm der Bundesvereinigung Lebenshilfe vom 12.11.2011
Aber was zählt das alles schon für deutsche „Behindertenrechtler“? Natürlich nichts, man macht auch nach einem entsprechenden Hinweis einfach weiter ohne sich sachlich in auch nur halbwegs angemessener Weise auseinanderzusetzen. Nach diversen weiteren Versuchen zu erklären, daß das so nicht geht was da gemacht wird bleibt schließlich kaum mehr als die Deutung übrig, daß hier ganz bewußt einem Amtsinhaber durch ganz banales Ignorieren ein ausreichend barrierefreier Zugang zur Amtsausübung verwehrt wird.
Offensichtlich blieb also auch kaum ein anderer Schluß übrig als festzustellen, daß, wenn sich nuneinmal nur NGOs beteiligen dürfen, die sich für die volle Verwirklichung von Behindertenrechten einsetzen und man bei Spitzenvertretern solcher NGOs rein lebenspraktisch mit einem Teil dieser NGO zu tun hat, der offenbar einen entsprechenden Rückhalt aufweist um zu solchen Aktivitäten geschickt zu werden, sich diese Amtskollegen nach diesem Maßstab eigentlich gar nicht mehr an der Arbeit beteiligen dürften. Also eine Luftnummer.
Und das auch vor dem Hintergrund persönlicher Haftung von Amtsinhabern, die selbstverständlich in ihrem Handeln an das Statut gebunden sind.
Das auch noch zumal voller Einsatz für Behindertenrechte natürlich auch beinhaltet, sich gegen entsprechende Diskriminierungen zu engagieren – juristisch gesehen auch die eigene.
Ja nu, das ist aber eine blöde Situation. Also zur ersten Absicherung eine Mail an alle veranlasst, die die Problematik veranschaulicht.
Reaktion: Ignorieren (bis auf bekanntgewordene Ausnahmen, die man an einer Hand abzählen kann und die sich auch nicht trauten öffentlich Stellung zu beziehen).
Wohlgemerkt, das betraf jetzt nicht mehr nur die Amtskollegen des ESH-Vertreters, sondern Dutzende „Behindertenrechtler“, theoretisch also sowas wie die versammelte Elite der deutschen Behindertenbewegung.
Lektion 7 – Wenn sich jemand wirklich für Behindertenrechte einsetzt, dann muß er mit allen Mitteln entfernt werden
Ungefähr ein Tag vor einer Vollversammlung aller Vertreter wird mitgeteilt, daß in der Pause dieser Vor-Ort-Versammlung eine Aussprache beabsichtigt wird. Der ESH-Vertreter teilt daraufhin umgehend mit, daß dies nicht barrierefrei wäre, da sich der Livestreamzugang nach der gesammelten Erfahrung nicht für intensive Kommunikation eignet, zumindest sofern die anderen Akteure nicht gewillt sind, gewisse Verhaltensregeln zu erfassen und zu befolgen.
Man kann es sich fast denken: Auch dieser Hinweis wird ignoriert und dann in dieser Pause offenbar eine völlig unangekündigte „Abstimmung“ organisiert. Der Inhalt wurde mittels nachgereichtem schriftlichen Protokoll kundgetan: Innerhalb kurzer Frist soll sich der ESH-Vertreter äußern. Später wurde dann anderes behauptet, das sich aus diesem Protokoll gar nicht entnehmen ließ. Tenor: Entweder der ESH-Vertreter akzeptiert innerhalb einer kurzen Frist Teilnahmebedingungen, die dem vorliegenden ärztlichen Attest nicht Genüge tun und kann das Amt deswegen im Grunde nicht ausreichend ausüben (wer bitte stimmt eigentlich für sowas, wenn man von diesem Vertreter seine Interessen vertreten sehen möchte!?) oder er sei abgewählt. Dem ESH-Vertreter ist bis heute nicht bekannt wieviele Wahlberechtigte sich an dieser Farce eigentlich beteiligten, wer konkret dafür gestimmt haben soll, geschweige denn, daß die vermeintliche Abstimmung wenigstens in Hinblick auf ihr Ergebnis kritisch geprüft werden konnte.
Praktischerweise wurde dann auch eine Neuwahl abgehalten, bei der sich tatsächlich auch Kandidaten fanden und deren Wahlbeteiligung erstaunlich hoch angegeben wurde.
Neben diesem auch vereinsrechtlich extrem fragwürdigen Manöver entwickelt sich zudem der frappiernde Eindruck, daß der Entzug von Barrierefreiheit im Großen und Kleinen auch in diesen Kreisen erschreckend oft ohne größere Bedenken als „Kampfmittel“ im Rahmen der üblichen politischen Rangeleien eingesetzt wird. Dabei sollte sich das gerade in diesen Kreisen eindeutig von selbst im Rahmen des Basisanstands und auch der eigenen Glaubwürdigkeit der jeweiligen Akteure verbieten. Extrem bedenklich hallt auch der Eindruck nach, gerade von der Seite solcher immer zuerst machtpolitisch agierender Personen öfters die Forderung zu hören, es müssten öffentliche Mittel für Hauptamtliche zur Verfügung gestellt werden. Man kann sich vorstellen, wie negativ genau das wirken würde, wenn diese Personen auch noch ein festes finanzielles Interesse daran hätten ihre Pöstchen durchzubringen egal, ob sie gerade faktisch die eigentlichen Ziele der Sache in vermutlich vollem Bewußtsein mit Füßen treten.
Lektion 8 – Gericht schätzt Wahl als ungültig ein
Wie lange vorher immer mal in diesem Kreis angekündigt, rief die ESH als letztes Mittel selbstverständlich ein Gericht an, um diese Rechtsverstöße zu stoppen. Denn mal ehrlich, was ist schlimmer: Diskriminierung durch irgendwelche gedankenlose oder behindertenfeindliche Menschen oder durch solche, die die theoretischen Grundlagen eigentlich kennen und sich trotzdem aus unerfindlichen Gründen nicht daran halten? Besondere Kenntnis und Einsichtsfähigkeit erhöht bei Vergehen in der Regel das Maß der Schuld.
Erstaunliche Erkenntnis daraus: Nach Einschätzung des zuständigen Gerichts wurde der ESH-Vertreter nie rechtsgültig gewählt – sinngemäß abgeleitet die anderen Amtskollegen auch nicht. Wer aber nicht korrekt gewählt worden ist, der kann auch nicht gegen eine Diskriminierung bei der Amtsausübung klagen.
Dumm gelaufen, folglich ist der ganze Bericht praktisch unrettbar ungültig. Da helfen auch symbolische Abstimmungen der Vollversammlung nichts mehr.
Lektion 9 – Rücktrittsaufforderungen der ESH
Was lernt man aus dieser Erfahrung? Nocheinmal: Im deutschen Behindertenrechtsbereich dominieren bis heute Organisationen mit mehr oder weniger fragwürdigen Ausrichtungen, die nicht von Behinderten selbst betrieben werden. Auch die BAG Selbsthilfe kann aufgrund massiver Beteiligung von Angehörigenverbänden wohl nicht als DPO (Disabled People Organisation = eine Organisation, die von Behinderten dominiert wird) betrachtet werden und fällt über ihre Vertreter immer wieder durch absonderliche Aussagen und Verhaltensweisen auf. Selbst Vertreter von DPOs sind zumeist Personen aus der Selbsthilfe und haben meist keine solide Kenntnis über theoretische Grundlagen des sozialen Phänomens „Behinderung“ und agieren zumeist als Kinder dieser Zeit vor allem aus nur mehr oder weniger bruchstückhaft systematisch reflektierten persönlichen Alltagserfahrungen. Einzelne Lichtblicke bleiben die Ausnahme und dringen kaum durch.
Nach diesem nahezu kollektiven Versagen der „ersten Adressen“ der deutschen behindertenpolitischen Szene kann mit einem sehr bitteren Beigeschmack kaum geleugnet werden, daß das wahre Problem, das grundlegende Fortschritte im Alltag für Behinderte in Deutschland wohl seit Jahrzehnten verhindert, nicht bei Politik und Parteien zu finden ist, sondern in der schlechten Qualität der politischen Arbeit der behindertenpolitisch aktiven NGOs selbst.
Es kann nicht sein, daß im o.g. Fall in Erscheinung getretene Behindertendiskriminierer (ja, man muß es jetzt mal so klar benennen) weiter in hervorgehobenen Stellungen Behindertenpolitik betreiben und unkritisiert Sonntagsreden zum Besten geben können, obwohl sie offensichlich gar nicht für die volle Verwirklichung der UN-Behindertenrechtskonvention (also dem aktuellen Mindeststandard) einstehen. Daher werden die folgenden Personen aufgefordert sich umgehend aus allen verantwortlichen Posten mit Bezug zu Behinderungsthemen zurückzuziehen:
– Hans-Günter Heiden („Netzwerk Artikel 3“)
– Claudia Tietz (SoVD)
– Hans-Joachim Krahl (BAGS)
– Dr. Sigrid Arnade (ISL)
– Dr. Markus Schäfers (Lebenshilfe Bundesverband)
– Douglas Ross (Eltern für Integration)
(Diese Vertreter wurden als Funktionsträger von der BRK-Allianz selbst namentlich im Internet genannt)
Machen wir uns nichts vor, das was im o.g. Fall stattfand ist im Grunde noch deutlich schwerwiegender als dies:
Zitat:
Melissa Barton, Mutter des Fünfjährigen, wirft der Klassenlehrerin vor, sie habe Alex aus der Kindergarten-Klasse geworfen, weil sie von den Symptomen seiner Krankheit genervt gewesen sei. Alex brummte ständig und nahm Hausaufgaben in den Mund, um sie zu essen. Als die Lehrerin ihn am vergangenen Freitag wieder vor die Tür gesetzt hatte, ließ sie seine Mitschüler aufschreiben, was sie an Alex nicht mögen. Dann soll der Junge kurzzeitig zurück in die Klasse gebracht worden sein, um sich die Meinungen anzuhören.Es kam zu einer bizarren Abstimmung, bei der Alex wieder vor der Tür stand. Nur zwei Mitschüler waren dafür, dass er zurück kommen sollte. 14 Klassenkameraden waren gegen ihn – und Alex verbrachte den Rest des Tages bei der Schulkrankenschwester, bis ihn seine Mutter abholte.
Die ESH führte durch einen ihrer Vertreter mit der neuen Vorsitzenden der Bundesvereinigung Lebenshilfe e.V., Ulla Schmidt, ein Gespräch zur Situation von Autisten in Deutschland.
Die ehemalige Bundesgesundheitsministerin und Sonderschullehrerin ließ sich kenntnisreich und aufgeschlossen auf die vorgetragenen Interessen von Autisten in Deutschland ein. Die ESH schilderte, dass in vielen Einrichtungen und Therapien fragwürdige Ansätze wie ABA und TEACCH Anwendung finden, die – wie aus anderen Artikeln dieser Site bekannt – von uns als massiv gesundheitsschädlich und menschenrechtswidrig beurteilt werden.
Es wurde in diesem Zusammenhang die weit verbreitete Ablehnung von barrierefreier fernschriftlicher Kommunikation mit erwachsenen Autisten angesprochen und dass diese in allen gesellschaftlichen Bereichen zwingend durchgesetzt werden sollte, um weiteren Schaden an Leib und Leben von Autisten zu vermeiden. Zur Erläuterung wurden Situationen aus Schulalltag, Familien-/Wohnumfeld und medizinisch-therapeutischer Bewertung geschildert, die an der Lebenswahrheit von Autisten häufig vollkommen vorbei gehen, weil autistisches Wesen nicht verstanden und Autisten bis heute in gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen nahezu nie einbezogen werden.
Ulla Schmidt wies darauf hin, dass die politischen Weichen für die Inklusion behinderter Menschen von der Politik gestellt worden seien, dass es aber noch eine Zeit bis zur Umsetzung an der Basis dauern könne und dass auch weiterhin Aufklärungsbedarf bestünde. Die Probleme seien bekannt, aber Entwicklungen nähmen sich Zeit, dennoch sehe sie in eine gute Zukunft einer weitgehenden Selbstbestimmung behinderter Menschen.
Sie versicherte, dass sie persönlich und auch ihre Mitarbeiter sensibilisiert für das Beratungsangebot zu Autismus durch Autisten seien. Auf die Einrichtungen der Bundesvereinigung Lebenshilfe e.V. bezüglich der darin lebenden Autisten und ihrer persönlichen Situation angesprochen bot Ulla Schmidt weitere Kommunikation mit der ESH an.
Das Stattfinden eines Austauschs mit einem großen behinderungsbezogenen Verband wie der Lebenshilfe ist an sich durchaus als Fortschritt zu betrachten. Was sich konkret und tatsächlich für den Alltag von Autisten in Einrichtungen der Lebenshilfe ergibt, wird sich hingegen erst noch zeigen müssen.