Köln. – Raphael Spiegel lädt im Autisten-Forum (siehe Menü oben) ein, die Tanzperformance SPUREN in Köln anzuschauen…persönliche Geschichten aus Emotionen und Bilder sollen entstehen…von sieben Menschen „mit und ohne körperliche Behinderungen“ im Tanz offenbart.
Da Behinderungen in Köln schon vor vielen Jahren als durch Gesellschaft verursachte Schranken erforscht wurden, rechne ich mit einer Demonstration gegen die herrschenden Verhältnisse.
Berührungen und Verletzungen als kollektives und individuelles Ereignis aber wollen die Künstler aufzeigen.
Ich weiß nicht, wie ich mich verhalten soll.
Wenn ein Publikum in eine persönliche Geschichte von schwerwiegenden Erlebnissen eingeladen ist, so kann das zu einer obszönen Beiwohnung einer Missbrauchsgeschichte auswachsen und in einer flachen Peepshow enden. Bücherlesen und Kino ermöglichen, distanziert und menschenfern zu bleiben, aber will ich in direkter Konfrontation dabei sein, wenn jemand seine Haut nach außen stülpt und vielleicht auch seinen Ekel ausgießt?
Welche Möglichkeit bleibt mir, Abstand zu halten und mich entfernen zu können, wenn es mir zu nahe geht?
Ich erinnere mich an den Bildhauer Duane Hanson. Er bildet am Anfang seiner Karriere aus Glasfaser und Polyesterharz nach, was er in der Wirklichkeit sieht: herumliegende Bettler und Alkoholiker. Aber niemand will diese direkte Konfrontation mit dem Menschsein sehen. Als er aber positive Figuren des Alltags schafft und ihnen in Falten ihrer Kleidung, in Taschen oder sonstige eher versteckte Stellen kleine ganz persönliche Geschichten steckt, wird die Auseinandersetzung überschaubar. So gelingt es besser, sich auf Melancholie und Selbstspiegelung einzulassen.
Dem Menschen wenig zu zeigen um ihm viel erlebbar zu machen ist große Kunst.
Und um es zu Beginn klar und deutlich zu sagen: Diese Kunst ist in SPUREN gelungen! Gratulation!
In ein Schachbrett eingesetzt zeigen die Künstler Anfang und Ende von Erschütterung, von Durchgeschütteltsein, von massivem Erzittern und ziehen wie Schachfiguren von unsichtbarer Hand und ohne Ziel zu einer eindrucksvollen Geräuschmusik durch den Raum geführt. Die Zuschauer werden vom Dröhnen der Bässe miterschüttert, ohne ausweichen zu können. Es gibt kein Entrinnen. Erste Lektion gelernt.
Und doch, eine jede Figur geht auf ihre Weise und manche geht „geschlagen“ aus dem Spiel, um sich immer wieder für neue Züge einzubringen. Die Figuren sind fein gezeichnet. Sie werden als Abbilder für Menschenmodelle sichtbar, ohne dass sich der Zuschauer auch nur einen Moment zurücklehnen und auf Plakatierung ausruhen könnte. Jeder Darsteller nimmt dem anderen die Trivialität einer flachen Erkennbarkeit und trägt ihn gemeinschaftssinngebend mit. Den Choreografinnen gelingt die Gradwanderung, das Outing der verschiedenen Darsteller mit Hilfe eines gegengewichtigen anderen Künstlers zartfühlend von jeglichem Pathos fern zu halten.
Das Schachbrett aufzulösen, brechen sie auf …sammeln die Konturensteine…der eine häuft sie an, um sich auszuruhen und sich durch Lautstärke bemerkbar zu machen…der andere, um mit ihnen Bahnen zu legen und auf ihnen Balance zu finden… wieder andere erschrecken durch die Schönheit ihres Fallens und die Kraft ihres Aufstands.
Nicht das glückliche Ende sondern der glückliche Anfang wird gefeiert. Da will ich mitfeiern und das Publikum auch.
Nach der Aufführung stehen die Künstler dem Publikum für Fragen zur Verfügung. Nichts ist schwerer, als sich den eigenen Gefühlen zu stellen. Es wird über Nebensächliches gesprochen, bis die erlösenden Sätze fallen:
Die Künstler wurden mit dem Herzen gesehen. Das Publikum ist berührt. Schachmatt.
2. und 3. Mai 2016 jeweils 19.00 Uhr im Comedia Theater, Vondelstr. 4-8, 50677 Köln
Im Rahmen von Inklu:City, Sommerblut Kulturfestival