Autismus - ohne wäre die Normalität gestört

 

 

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Fremdenfeindliche Umerziehung autistischer Kinder (am Beispiel ABA)

Viele nichtautistische Eltern sind mit ihren autistischen Kindern überfordert und suchen die Schuld an dieser Überforderung und den daraus resultierenden Problemen gerne bei denselben, wohl u.a. auch aufgrund mangelnder Bereitschaft das eigene Wertesystem zu hinterfragen und am eigenen Verhalten zu arbeiten. Autistische Kinder würden sich wie Nichtautisten gerne vermuten mutwillig „unmöglich“ verhalten. Dass solches unerwünschte Verhalten immer Ursachen hat und häufig auch Reaktionen auf akute Überlastung darstellt, wird von den Eltern oft nicht beachtet oder auch nur ernsthaft erwogen. Die Lösung vieler Eltern und „Fachleute“ besteht darin, dass das Kind mittels möglichst „wirksamer“ Therapien zu lernen hat, sich entgegen der eigenen Natur oft unter erheblicher Gewaltanwendnung anzupassen, was faktisch bedeutet, dass das Kind zu einem Nichtautisten gemacht werden soll. Schäden, die durch solche Umerziehungsversuche, zum Beispiel bei Homosexuellen oder auch Linkshändern, verurusacht werden, gelten heute als erwiesen. Bei Autisten werden weiterhin solche Methoden angewandt, ohne, dass diesbezüglich erkennbar ethische Bedenken geäussert würden. Dadurch wird auf die Kinder seitens Eltern und Therapeuten oft unmenschlicher Anpassungsdruck ausgeübt, der die Kinder häufig traumatisiert, bricht, an den psychischen Abgrund treibt, lebensuntüchtig und krank macht.

Applied Behaviour Analysis (ABA) gilt seit geraumer Zeit in einigen Kreisen als einzige „wissenschaftlich erwiesene“ Methode, mit der Autisten sich Fertigkeiten aneignen und dadurch zu vollwertigen Mitgliedern dieser Gesellschaft werden könnten. Damit wird besonders von Einrichtungen geworben, die teils erhebliche Summen mit dieser Therapie umsetzen. Vertreter dieser Methode behaupten entgegen offensichtlicher Tatsachen, es sei für Autisten unmöglich, auf natürlichem Weg zu lernen oder sich weiterzuentwickeln (http://www.sentex.net/~nexus23/naa_aba.html). Tatsächlich handelt es sich bei ABA um eine Methode, deren Prinzipien auch auf die Umerziehung von Homosexuellen verwendet wurden. ABA basiert darauf, dass versucht wird, vermeintlich sinnlose Verhaltensweisen, die oft auch allgemeinmenschliche Überlastungsreaktionen darstellen, zu „löschen“, ferner werden sämtliche – vor allem lebenspraktische – Fertigkeiten, die erlernt werden sollen in kleinste Schritte zergliedert und diese den Kindern durch ständiges Wiederholen andressiert. So brauchte Lovaas z.B. 90.000 Versuche, um einem autistischen Jungen eine verbale Äusserung beizubringen (Lovaas 1977), weitere Studien weisen ähnlich hohe Versuchszahlen auf, wobei der Lernerfolg keineswegs garantiert werden kann. Ein weiteres Kind wurde mit 24.000 Versuche, ihm Sprachverständnis beizubringen, traktiert – freilich ohne Erfolg (Eikeseth und Jahr 2001). Dasselbe Kind erlangte, sobald es ohne ABA schriftliche Texte zur Verfügung gestellt bekam, in weniger als 100 Versuchen beachtliche Sprachkompetenz, indes zeigten sich Ansätze von ABA, Autisten mittels Texten Sprache beizubringen kaum Erfolg (Lovaas und Eikeseth 2003). Angesichts solcher Beispiele gerät die angebliche wissenschaftliche Erwiesenheit doch sehr stark ins Wanken.

Auch in Fällen, wo es an sich offensichtlich sein sollte, dass das Kind auch ohne oder unabhängig von ABA lernfähig ist, stellen es viele Eltern gerne so dar, als ob das Kind ohne ABA nichts können würde. So schrieb beispielsweise eine Mutter in einem Blogkommentar:

„My daughter has made great strides with ABA therapy as well. I mean I don’t think there’s any question of the effectiveness of it for enabling autistic children to learn. Every single thing she knows, she learned from ABA. This is fact. Except for the things that seem to be her gifts. She spelled words with refrigerator magnets long before ABA therapy. She plays the piano almost in spite of ABA therapy. She taught herself to read without the use of ABA therapy. Adding and subtracting. She was obsessed with numbers and sequences of numbers before ABA.

Having said that, she had no language before ABA, no eye contact, no social skills, absolutely ignored everyone and everything. […]

ABA changed all those things in 1 year. „(http://blisstree.com/feel/what-i-think-about-aba-and-recovery/comment-pa…

Übersetzung: Meine Tochter machte ebenfalls grosse Fortschritte mit der ABA-Therapie. Ich meine, ich denke nicht, dass die Wirksamkeit der Therapie, autistischen Kindern das Lernen zu ermöglichen, in Frage steht. Jedes einzelne Ding, das sie kann, hat sie von ABA gelernt. Das ist Fakt. Abgesehen von den Dingen, die ihren Talenten entsprechen. Sie buchstabierte lange vor der ABA-Therapie Wörter mit Kühlschrankmagneten. Sie spielt trotz ABA-Therapie Klavier. Sie brachte sich selbst ohne den Einsatz von ABA-Therapie das Lesen bei. Addieren und Subtrahieren. Sie war vor ABA von Zahlen und Zahlenreihen besessen.

Nichtsdestotrotz hatte sie vor ABA keine Sprache, keinen Augenkontakt, keine soziale Kompetenz, ignorierte völlig jeden und alles.

ABA veränderte alle diese Dinge in einem Jahr“)

In Deutschland findet ABA zunehmend Verbreitung. Dass dabei grundlegende Menschenrechte verletzt werden und autistischen Kindern z.B. Gesundheit und freie Entfaltung der Persönlichkeit nicht zugestanden werden, ohne, dass dabei die eigenen Ansprüche von ABA auch nur ansatzweise erfüllt würden, findet hierbei anscheinend keine Berücksichtigung.

Grundlagen

Auf Websites von ABA-Anbietern wird grundsätzlich mit dem bereits erwähnten Schlagwort der wissenschaftlichen Erwiesenheit geworben und ausdrücklich betont, dass ABA sich die grundlegenden Erkenntnisse der Lernpsychologie zueigen mache und ABA eben nicht mehr stures Auswendiglernen beinhalte, als andere Lernmethoden, bei denen auch grundlegende Fertigkeiten auswendig gelernt werden müssten. Jeder, der Lernpsychologie nicht vollkommen ablehnt, muss also, so die wohl unhaltbare Schlussfolgerung von ABA-Vertretern, auch ABA befürworten. Faktisch vertritt der ABA-Ansatz auch ein ganz bestimmtes Weltbild. So genannte „positive Verstärker“ sollen das autistische Kind nach einem von nichtautistischen Erwachsenen gemachten Plan dazu animieren, das zu tun, was von ihm erwartet wird. Eltern sollen die komplette Kontrolle über das Umfeld des Kindes erlangen, dem Kind zeigen, dass sie ganz genau wissen, wofür sich es sich interessiert und dem Kind nur dann für das Kind interessante Gegenstände zur Verfügung stellen oder solche Tätigkeiten erlauben, wenn es die gestellten Aufgaben zur Zufriedenheit der Eltern erfüllt wurden. Verhalten, das aus Sicht der Eltern unangemessen erscheint, soll konsequent unterbunden und dadurch „gelöscht“ werden.

Einer der grössten ABA-Anbieter in Deutschland stellt die Grundlagen des zeitgenössischen ABA/VB (VB steht für Verbal Behaviour, dazu siehe weiter unten) in sieben Schritten wie folgt dar. Diese Schritte sollen deswegen wirksam sein, weil sie eine Barriere darstellen, „welche den Zugang Ihres Kindes zu unverdienter Verstärkung blockiert“. So sollen die Eltern in einem ersten Schritt, dem Kind aufzeigen, dass sie die Kontrolle über sämtliche Gegenstände besitzen, die das Kind interessant findet. Die Eltern haben die Macht zu entscheiden, wann sich ein Kind, wie lange, womit beschäftigt. Das Kind soll sich die Beschäftigung mit seinen bevorzugten Gegenständen erstmal durch Kooperation verdienen. Im Idealfall sollen die bevorzugten Spielsachen des Kindes so aufbewahrt werden, dass sie das Kind zwar sehen, aber nicht erreichen kann, zumindest soll auf jeden Fall sichergestellt werden, dass das Kind genau weiss, wo die Sachen aufbewahrt werden. Ersatzinteressen sind ebenso unzulässig. Ferner sollen die Eltern oder Therapeuten im Rahmen einer ABA/VB-Therapie eine Beziehung zu ihrem Kind aufbauen, so dass das Kind die Eltern oder Therapeuten mit positiver Verstärkung in Verbindung bringt (sog. Pairing). Das Kind soll vermittelt bekommen, dass es mit den Eltern Spass haben kann und dies auch nur, wenn es sich so verhält, wie dies von den Eltern erwünscht ist. Auch während der Zeit, in der das Kind die Erlaubnis hat zu spielen, soll „unangemessenes“ Verhalten sofort unterbunden werden. So soll sich ein Kind, währenddessen es Musik hören darf, beispielsweise nicht aus dem Raum entfernen oder anderweitig „unangebracht“ verhalten, was dazu führen soll, dass die Musik, solange das Kind dem „unangebrachten“ Verhalten nachgeht, ausgeschaltet wird. Drittens sollen die Eltern eine vertrauensvolle Beziehung zu ihren Kindern aufbauen und stets meinen, was sie sagen. Dies bedeutet auch, dass sich die Eltern so ausdrücken sollen, dass das Kind sich notwendigerweise dazu „entscheiden“ wird, das auszuführen, was von ihm erwartet wird. Ohne in Zynismus zu verfallen, lässt sich solches Verhalten, das faktisch keine Alternativen offenlässt, wohl kaum als freie „Entscheidung des Kindes“ betrachten. Daran knüpft auch der vierte Punkt an, das Kind soll nämlich lernen, dass faktisch der einzige Weg, sich mit für es interessanten Dingen zu beschäftigen, darin besteht, das zu tun, was von ihm erwartet wird. Solange das erwünschte Verhalten nicht gezeigt oder die gestellte Aufgabe nicht gelöst wird, soll das Kind keinen Zugang zu einer positiven Verstärkung erlangen. Fünftens soll das Erfüllen von gestellten Aufgaben z.B. mit dem zuvor weggenommenen Spielzeug konsequent belohnt werden. Das Ziel ist, dass das Kind von selbst auf die Eltern zukommen und auf Anweisungen warten wird, damit es sich wieder mit interessanten Dingen beschäftigen kann. Von Selbstbestimmung, wie sie gemäss UN Konvention über die Rechte behinderter Menschen auch Autisten zukommt, kann hier wohl keine Rede sein. Ausserdem sollen die Eltern, um einen reibungslosen Ablauf der anderen Punkte zu garantieren, die Interessen des Kindes genausogut kennen, wie ihre eigenen. Kein Interesse des Kindes soll unerkannt und ungenutzt bleiben. Mögliche Verstärker sollen variiert werden, damit das Kind nicht plötzlich das Interesse an ihnen verliert. Auch sollen die Lieblingsdinge des Kindes nicht bei alltäglichen Aufgaben zum Einsatz kommen, sondern bevorzugt bei solchen, die dem Kind am meisten Mühe bereiten und die aus Sicht der Eltern besonders wichtig sind, wie beispielsweise Spracherwerb. Abschliessend soll das Kind lernen, dass Nichtkooperation unter keinen Umständen zum Erhalt von Verstärkern führt. Sämtliche unangemessenen Verhaltensweisen des Kindes sollen konsequent unterbunden werden. Dies soll, wenn sich das Kind beispielsweise von einer Aufgabe entfernt, ohne diese gelöst zu haben, durch Ignorieren des Kindes erfolgen.

Verhaltensweisen, wie sie während einer ABA-Therapie, beispielsweise durch konsequentes Ignorieren, Verbot von Lieblingstätigkeiten oder auch Wegnahme von Lieblingsdingen empfohlen werden, werden, ausserhalb von ABA, gemeinhin Mobbingsituationen zugerechnet. Auch muss die Wegnahme und absolute Kontrolle über das Spielzeug des Kindes auf das Kind bestrafend wirken, was dann die Schlussfolgerung zulässt, dass auch zeitgenössisches ABA/VB Aversiva einsetzt, lediglich nicht so offensichtlich, wie die klassische Variante von ABA, was die Schädlichkeit dessen nicht reduzieren muß.

Angebliche Widersprüche: Autismus und Intelligenz

Autismus und Intelligenz oder gar selbständiges Lernen scheinen für ABA-Vertreter unvereinbare Gegensätze zu sein, die ohne intensive ABA-Therapie keineswegs vereint werden könnten. Die erwiesene Tatsache, dass Autisten mitunter in bestimmten, sie interessierenden Bereichen zu Höchstleistungen fähig sind, ohne, dass ihnen diese Fähigkeiten von Therapeuten oder Eltern antrainiert wurden oder, dass heute erwachsene Autisten, die heutzutage wohl als „schwer betroffen“ eingestuft würden, ganz ohne je mit ABA behandelt worden zu sein, selbständig leben können und zum Teil in ihren Berufen überaus erfolgreich sind (dies wurde beispielsweise z.T. von Asperger 1944, Kanner 1973 sowie Szatmari et al. 1989 untersucht), findet bei Vertretern von ABA keine Beachtung. Teilweise werden von ABA-Vertretern sinnlose autistische Verhaltensweisen, was, je nach Definition, auch aussergewöhnliche Fähigkeiten in bestimmten Teilbereichen beinhaltet, sowohl als löschungswürdig, als auch als Verstärker, wohl je nach Situation, angewandt (http://gernsbacherlab.org/wp-content/uploads/papers/1/Dawson_AutisticLearning.pdf).

Die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu autistischem Lernen sind wenig ausgereift und häufig paradox. Ähnliche Aussagen wurden auch im Rahmen der Behandlung von Homosexuellen über Homosexuelle getroffen. Ebenso wie heute über Autisten, wurde beispielsweise über Homosexuelle behauptet, dass sie unfähig wären, antrainierte Fähigkeiten zu verallgemeinern und auch im Rahmen von Situationen anzuwenden, die nicht explizit geübt wurden (Rekers und Lovaas 1974). Die Unfähigkeit zu verallgemeinern scheint also vielmehr ein Problem darzustellen, das auftritt, wenn Menschen zu Verhaltensweisen gedrängt werden, die ihrer Veranlagung in hohem Masse widersprechen. Heute würde dies wohl kaum jemand von Homosexuellen behaupten, in Bezug auf Autisten sind solche Aussagen noch immer an der Tagesordnung.

Hintergründe

Bereits in den 1970er Jahren wurde an der University of California, Los Angeles (UCLA) mit finanzieller Beteiligung des National Institute of Mental Health von Lovaas, auf den die heutige ABA-Intervention zurückgeht, eine Studie, das Feminine Boy Project (FBP), durchgeführt, die zum Ziel hatte, mit den Prinzipien des operanten Konditionierens nach Skinner, Jungen, die als weiblich geltende Verhaltensweisen an den Tag legten, zu „richtigen“ Jungen zu erziehen. Von Videoaufnahmen, die jeweils vor und nach Beginn der Therapie gemacht wurden, wurde gesagt, die therapierten Kinder seien wie ausgewechselt und würden sich nach der Therapie in keiner Weise von anderen gleichaltrigen Jungen unterscheiden. Das Projekt geriet rasch in die Kritik, vor allem ethische Bedenken wurden, u.a. auch von heutigen Vertretern von ABA, geäussert. Es wurde gefordert, dass bei solch gravierenden Eingriffen in die Persönlichkeit eines Menschen, betroffene Interessengruppen, also z.B. Homsexuelle, Transsexuelle und Feministen, in die Entscheidungsprozesse und die ethische Debatte miteinbezogen werden sollten. Die Annahme, auf der die Studie beruhte, nämlich, dass Nicht-Heterosexuelle weniger wert und ohne Hilfe nicht fähig seien, ein glückliches, erfülltes Leben zu führen, wurde gründlich hinterfragt. Einer der zwei Jungen, deren Umerziehung im FBP als Erfolg gefeiert wurde, beging Selbstmord.

Am selben Forschungsinstitut wurde das „Young Autism Project“ gestartet, das ebenfalls von Lovaas geleitet wurde, der sich, als die staatliche Subventionierung für das FBP auslief, vom Projekt distanzierte. Der Ansatz war weitgehend derselbe, nur die Zielgruppe eine andere. Im Gegensatz zum FBP stellte die Frage Ethik, oder gar die Einbeziehung betroffener Interessengruppen, keine Kritikpunkte mehr dar und wurden bislang, mit Ausnahme des Einsatzes von massiven Aversiva, auch so gut wie nicht diskutiert. Autisten wurden keinerlei Mitspracherechte gewährt, was sich bis in die Gegenwart gehalten hat, obwohl mittlerweile hinreichend viele Autisten sich öffentlich zu ihrem Autismus bekennen und beweisen, dass sie durchaus in der Lage sind für sich selbst zu sprechen. Meist werden diese Autisten als lediglich „leicht betroffen“ dargestellt, die unmöglich die „schwer betroffenen“ Autisten verstehen könnten. Die offensichtlich irrige Annahme, dass Nichtautisten, die autistische Wahrnehmung oft nicht einmal ansatzweise nachvollziehen können, in der Lage sind, zu entscheiden, was für Autisten gut ist, wird hingegen als Tatsache dargestellt (http://www.sentex.net/~nexus23/naa_aba.html).

1987 veröffentlichte Lovaas eine Studie, die auch heute noch oft auf Websites von ABA-Anbietern zitiert wird. Dieser Studie zufolge erfüllten insgesamt 47% der 19 Vorschulkinder, die im Durchschnitt 40 Stunden wöchentlich ABA-Therapie erhielten, die Kriterien, die Lovaas für ein „recovery“ angesetzt hatte. Um Kritikern weniger Angriffsfläche zu bieten, wurde, um allfällige Placebo-Variablen auszuschliessen, eine weitere Studie innerhalb der Studie durchgeführt, um zu zeigen, dass ein Bestandteil von ABA der entscheidende Faktor für den Erfolg der Therapie war. Die Komponente, die diesbezüglich gesondert untersucht wurde, war der Einsatz von massiven Aversiva, der bei je vier Kindern der Experimental- und Kontrollgruppe variiert wurde. Die Fortschritte derjenigen Kinder, die nicht mit massiven Aversiva bedacht wurden, wurden von Lovaas als ungenügend und instabil beschrieben (Lovaas 1987; McEachin, J. J., Smith, T., & Lovaas, O. I. 1993). Auch dies ist an sich eher wieder ein starkes Indiz gegen die Argumentation der „wissenschaftlichen Erwiesenheit“, zumal massive Aversiva laut ABA-Anbietern angeblich nicht mehr zum Einsatz kommen würden (was aber faktisch nach wie vor der Fall ist, siehe oben).

Die Abkehr von massiven Aversiva zur „Spasstherapie“

In den vergangenen Jahren geriet ABA aufgrund des Einsatzes von massiven Aversiva zunehmend in die Kritik, bis eine Distanzierung von den offensichtlichen massiven Aversiva erfolgte. Nichtsdestotrotz wird weiterhin die Studie von Lovaas zitiert und die 47%, die den höchsten mit ABA erzielten „Erfolg“ darstellen (die darauffolgenden Studien, die ohne massive Aversiva arbeiteten, weisen im Grunde entweder verschwindend kleine Prozentsätze an „recoveries“ oder/und eklatante methodische Mängel auf), werden so dargestellt, als wären diese 47% die Erfolge des heutigen ABA, das, wie betont wird, ohne massive Aversiva arbeitet und „Spass“ in den Vordergrund stellt.

„Spass“ ist wohl eines der zeitgemäßen, modischen Schlagwörter, mit dem heutiges ABA angepriesen wird. Seit ABA in Kombination mit Verbal Behaviour (VB) praktiziert wird, soll sich die Methode grundlegend geändert haben. Das Kind soll vermittelt bekommen, dass es nur Spass haben kann, wenn es mit den Eltern oder den Therapeuten interagiert und, dass es sich nicht lohnt, nicht zu kooperieren, weil es dann keine positive Verstärkung erfährt. Die Eltern sollen die bevorzugten Spielsachen des Kindes kontrollieren und, abhängig vom Verhalten des Kindes, jeweils entscheiden, wann es sich womit, wie lange beschäftigen darf. Aus Elternsicht angemessenes Verhalten wird durch Verstärker belohnt, aus Elternsicht unangemessenes Verhalten soll möglichst „gelöscht“ werden. Das Können eines autistischer Jungen beispielsweise, der im Rahmen einer intensiven ABA-Intervention plötzlich erstaunliche Fähigkeiten im Kalenderrechnen an den Tag legte, wurde nach Bekanntwerden unterdrückt und der Kategorie der unangebrachten Verhaltensweisen zugerechnet (Epstein et al. 1985). Dies soll das Kind dazu bewegen, sich zu „entscheiden“, zu kooperieren, weil es nur dadurch die Möglichkeit hat, sich mit dem zu beschäftigen, das es tatsächlich interessiert. Ebenso ist augenscheinlich, daß sinnhafte aber unverstandene intutive Reaktionen von Autisten angegriffen werden, die in ihrer abweichenden Wahrnehmung begründet sind, im übertragenen Sinne Reaktionen wie die Schmerzreaktion auf einen Stachel im Fuß. Solche an sich gesunde Reaktionen wegen Unverständnis der Materie zu unterbinden läuft letztlich auf dadurch verursachte größere Gesundheitsschäden hinaus und die Verhinderung der Möglichkeit des Autisten selbst für sich ein angemessenes Lebensumfeld zu finden. So schrieb auch eine Autistin, an der ABA angewendet wurde, in einem US-Forum über ihre Therapieerfahrungen:

„When I was asked to do something in exchange for a reward that I wanted very much, eventually I just started to hate the whole process. It made me feel like I could never get a break, never relax, or I’d lose what I loved most… I felt totally helpless, like they were yanking me around on a string and could make me do whatever they wanted. My decisions weren’t my own“ (http://www.wrongplanet.net/postp2462249.html#2462249 Wenn ich gebeten wurde etwas für eine Belohnung, die ich sehr wollte, zu tun, begann ich den ganzen Vorgang zu hassen. Es gab mir das Gefühl, nie eine Pause zu bekommen, nie zu entspannen oder ich würde das verlieren, was ich am meisten liebte… Ich fühlte mich völlig hilflos, als ob sie mich auf einem Seil herumziehen würden und mich dazu bringen könnten alles zu tun, was sie wollten. Meine Entscheidungen waren nicht meine eigenen.).

Dadurch, dass sich Kinder ihre Freizeit faktisch erst verdienen müssen und nur dann ihren Interessen nachgehen können, wenn sie sich aus Elternsicht angemessen verhalten – wobei vernachlässigt wird, dass auch vermeintlich unangemessenes autistisches Verhalten immer Gründe hat und häufig auch auf allgemeinmenschliche Überlastungsreaktionen zurückzuführen ist – werden sie zu unselbständigen psychischen Wracks erzogen, die auf direkte Anweisungen angewiesen sind und durch ABA wohl auf effektive Weise zu leicht händelbaren Heimbewohnern gemacht werden – wobei solche Behindertenheime spätestens seit der UN-Konvention über die Rechte behinderter Menschen Auslaufmodelle sind.

Vermeintlich Innovatives: Verbal Behaviour

VB wird heutzutage meist in Kombination mit ABA angeboten und als das innovative Element in ABA dargestellt, das zu einer grundlegenden Weiterentwicklung von klassischem ABA zu ABA/VB beigetragen hat. Die Grundlagen von VB gehen, ebenso wie diejenigen von ABA, auf Skinner zurück, der versuchte, aus verhaltensanalytischer Sichtweise eine theoretische Analyse der Sprache darzustellen. Auch kamen teilweise linguistische Modelle zum Einsatz (Skinner 1957). 1959 erschien vom Linguisten Noam Chomsky eine Besprechung Skinners Werk. Chomsky argumentierte, dass VB den sprachlichen Gegebenheiten nicht einmal ansatzweise gerecht werden könne und sie über Gebühr vereinfache. Würde man die von Skinner definierten Begriffe so verstehen, wie sie von Skinner definiert wurden, sei Skinners sprachliche Analyse offensichtlich falsch. Würden die Begriffe hingegen im übertragenen Sinn verstanden, so handle es sich lediglich um eine alltägliche Betrachtung der Sprache, die in einer wissenschaftlichen Sprache verfasst sei, so schreibt Chomsky: „This creates the illusion of a rigorous scientific theory with very broad scope, although in fact the terms used in the description of real-life and laboratory behavior may be mere homonyms“ (Chomsky 1959: 31). In behaviouristischen Kreisen wurde Chomskys Kritik wiederum Kritikgegenstand, wobei behauptet wurde, Chomsky habe Skinner in seiner Komplexität nicht erfasst (Kenneth MacCorquodale 1970; David C. Palmer 2006). Indes gilt ausserhalb des Behaviorismus seit Chomskys Kritik die Analyse von Skinner als widerlegt und wird höchstens unter historischem Gesichtspunkt betrachtet. VB wird heute vor allem zur „Behandlung“ von Autismus eingesetzt, wobei Chomskys Kritik keinerlei Beachtung findet und bei Darstellungen darüber, worum es sich bei VB handelt, nicht einmal ansatzweise diskutiert wird.

Siehe auch:

Unser Autismus-Lexikon

http://www.sentex.net/~nexus23/naa_aba.html

http://gernsbacherlab.org/wp-content/uploads/papers/Gernsbacher_Scientifically_Proven_JDLD_2003.pdf

Diskriminierungsfreie Begutachtung

Einleitung

Das Prinzip des Universellen Designs, wie etwa in der UN-Behindertenkonvention vorgesehen ist im Alltag noch kaum umgesetzt, weswegen im Rechtssystem noch weitgehend Formen der Begutachtung bei Fragen der Gewährung von Aspekten von Barrierefreiheit oder Nachteilsausgleichen (eine Art „Trostpreis“ für bestehende gruppenbezogene Diskriminierungen, die direkt nicht beseitigt werden, obwohl darauf eigentlich ein Recht bestehen würde) verbreitet sind. Diese Praxis ist allgemein an sich als diskriminierend zu betrachten, da sie fast immer dazu führt, daß gerade ohnehin diskriminierte Personengruppen sich ständig mit entwürdigenden Verfahren konfrontiert sehen, in denen geklärt werden soll, ob sie tatsächlich sind was sie sind.

Um unter diesen Umständen derartige Begutachtungen, solange sie nicht prinzipiell weitgehend überwunden sein könnten, möglichst erträglich zu gestalten sollen hier einige Hinweise erfolgen.

Was ist eigentlich ein Gutachter? Das heute noch übliche Gutachtersystem geht zurück auf die Wertung von Zeugenaussagen als Beweis vor Gericht. Die Aussage eines vermeintlich fachkundigen Zeugen wird vor Gericht und in manchen Verwaltungsverfahren wie ein Tatsachenbeweis behandelt. Gutachten sind immer dann gefragt, wenn der Richter oder sonstige Entscheider sich nicht zutraut einen Sachverhalt selbst gut genug zu beurteilen. Das Gutachten soll ihn den vorliegenden Sachverhalt erklären, um ihm bei seiner Entscheidung zu helfen.

Geht es um einen Sachverhalt wie die Prüfung einer statischen Berechung der Eigenschaften eines eingestürzten Gebäudes wird der Gutachter seinen Rechenweg darlegen. Diese Art von Gutachten sind relativ gut objektiv nachprüfbar. Es gibt allerdings auch Gutachtenthemen, die anders strukturiert sind, wie etwa die psychische Einschätzung von Menschen. Solche Einschätzungen beruhen letztendlich meistens auf direkten Begegnungen mit der zu begutachtenden Person und daraus gewonnenen subjektiven Eindrücken. Weil gerade in diesem Bereich Gutachter ungerne diese Bewertungsgrundlagen dokumentieren lassen, die ihre oft lukrative Arbeit weit mehr hinterfragbar machen und oft zunächst sehr freundlich versuchen dieses Anliegen auszureden ist es sehr wichtig darauf zu bestehen, daß dies geschieht. Denn nur so ist es möglich wie bei der oben genannten statischen Berechnung den Rechenweg des Gutachters später nachvollziehen zu können, also die möglichst weitgehend in Ton und Bild dokumentierte Situation, die dieser Gutachter beurteilte.

Ein deutscher Richter kann jedermann zum Gutachtenzeugen ernennen. Gerade im Psychobereich ist der Grad von Objektivität von gutachterlichen Eindrücken besonders schlecht, da die wissenschaftliche Aussagekraft, die Evidenz und objektive Vergleichbarkeit von Psychodiagnosen bis heute erschreckend schlecht ist. Hier lauert also ein von vielen diesbezüglich unerfahrenen Menschen weit unterschätzes Risiko, das falsch einzuschätzen gravierendste Folgen nach sich ziehen kann. Hier eine beispielhafte Medienreferenz:

Zitat:

In Deutschland darf sich jeder Gutachter nennen. Und ein Gericht darf wegen der richterlichen Unabhängigkeit jeden zum Gutachter oder Sachverständigen ernennen, wie beispielsweise an Familiengerichten. „Wenn der Richter meint, seine Oma sei sachkundig und der Richter sie bestellt, dann ist sie sachkundig“, sagt Elmar Bergmann, ein pensionierter Familienrichter.Bundesweite, einheitliche Mindeststandards für Gutachten, beispielsweise an Familiengerichten, gibt es nicht. Studien belegen: Die Qualität vieler dieser Gutachten ist ungeheuerlich schlecht. Die Auswirkungen für die Betroffenen können katastrophal sein.

Dass die Qualität von Gutachten auch desaströs sein kann, merken Richter häufig nicht. Der pensionierte Familienrichter Elmar Bergmann hat dafür eine einfache Erklärung: „In aller Regel wird die Zusammenfassung gelesen und damit hat es sich. Und das wird auch übernommen.“ Dabei müsse der Richter eigentlich jede Seite des Gutachtens überprüfen.

[…]

Richter entscheiden, fällen Urteile und sprechen Recht. So soll es sein. Doch sie verlassen sich nicht immer auf ihre eigene Urteilskraft – die Entscheidung scheint der Gutachter zu fällen. Egal ob in Strafprozessen, in Familiensachen oder auch bei einfachsten Verkehrsdelikten. Eigentlich sei der Gutachter ein Gehilfe des Richters, sagt Elmar Bergmann: „Tatsächlich ist es aber so, dass Richter sagen: Sachverständiger, mach Du mal, mach mir mal Entscheidungsvorschläge.“

Und der Vorsitzende Richter des 2.Strafsenats am Bundesgerichtshof, Thomas Fischer, sagt: „Natürlich ist es eine Erleichterung für die eigene Entscheidung und natürlich aber auch eine Erleichterung für die eigene Verantwortung.“ So schaffen Gutachter nicht nur Fakten für den Richter, sondern werden dadurch selbst de facto zu Richtern.

Doch wie können überflüssige Gutachten verhindert werden? Wie kann die Qualität der Gutachter und der Gutachten garantiert werden? Wie stellen Richter sicher, dass sie Mängel in Gutachten erkennen? Der Deutsche Richterbund, die größte Vertretung von Richtern in Deutschland, sieht keinen Handlungsbedarf.

Andrea Titz, stellvertretende Vorsitzende des Richterbundes, sagt, dass der Richterbund sich nicht explizit mit der Problematik befasse, „weil es kein manifestes Problem ist“. Vielmehr würden die Richter verantwortungsvoll mit Gutachten umgehen und diese auch überprüfen – „im Rahmen ihrer Möglichkeiten aber natürlich nur“.

Quelle: http://daserste.ndr.de/panorama/archiv/2013/gutachter103_page-1.html

Barrierefreiheit

Häufiges Thema bei Begutachtungen ist die Barrierefreiheit der Begutachtungssituation. Hierzu ist allgemein sicherlich hilfreich zunächst zu erwähnen, daß eine Begutachtung im Rahmen eines Gerichtsverfahrens immer auch hinterfragt werden darf und der Gutachter sein Gutachten erläutern muß:

Zitat:

  1. Der Anspruch auf rechtliches Gehör umfaßt grundsätzlich auch die Anhörung gerichtlicher Sachverständiger.
    1. Nach § 402 in Verbindung mit § 397 ZPO sind die Parteien berechtigt, dem Sachverständigen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die sie zur Aufklärung der Sache für dienlich erachten. Der Bundesgerichtshof hat daraus in ständiger Rechtsprechung die Pflicht des Gerichts abgeleitet, dem Antrag einer Partei auf mündliche Befragung gerichtlicher Sachverständiger nachzukommen (vgl. BGHZ 6, 398 <400 f.>; BGH, NJW-RR 1987, S. 339 <340>; BGH, NJW 1997, S. 802 <802 f.>). Auf die Frage, ob das Gericht selbst das Sachverständigengutachten für erklärungsbedürftig hält, komme es nicht an. Es gehöre zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs, daß die Parteien den Sachverständigen Fragen stellen, ihnen Bedenken vortragen und sie um eine nähere Erläuterung von Zweifelspunkten bitten könnten (BGH, NJW-RR 1987, S. 339 <340>). Ein Antrag auf Anhörung des Sachverständigen könne allerdings dann abgelehnt werden, wenn er verspätet oder rechtsmißbräuchlich gestellt wurde (BGHZ 35, 370 <371>; BGH, NJW 1983, S. 340; BGH, NJW-RR 1987, S. 339 <340>; BGH, NJW 1997, S. 802 <802 f.>).

Quelle: BVerfG 1 BvR 909/94; http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rk19980203_1bvr090

Konkret umfasst die Barrierefreiheit auch im Rahmen einer Begutachtung an sich die Möglichkeit zu fernschriftlicher Kommunikation mit dem Gutachter (im Vorfeld und danach), da Kommunikation allgemein üblich ist, Mißverständnisse vermeiden hilft und es eine diskriminierende Benachteiligung wäre. Es ist nicht ausreichend, einem Autisten schriftliche Kommunikation vor Ort anzubieten, weil dadurch die Grundproblematik der Reizüberflutung nicht beseitigt wird.

Begleitperson

Wenn ein Autist eine Begleitperson zur Begutachtung mitnehmen will, dann darf ihm dies nicht ohne Weiteres verwehrt werden. Mögliche Begründungen gibt es viele, so etwa die Belastung durch die nicht barrierefreie Begutachtungssituation, die einen Ausgleich der situativen Unsicherheit durch die Mitnahme einer vertrauten Person rechtfertigt, die z.B. auch unzumutbare Details abwehren könnte. Wird die Begleitung in allen Phasen einer Begutachtung pauschal verweigert, so sollte die Begutachtung verweigert werden, da sonst rechtliche Nachteile im jeweiligen Verfahren entstehen können. Hier sei aus dem Urteil des LSG Rheinland-Pfalz L 5 KR 39/05 zitiert:

Zitat:

Die MDK-Gutachter Dr. R und Dr. K waren nicht berechtigt, ohne hinreihende Begründung die Anwesenheit des Sohnes der Klägerin bei der persönlichen Untersuchung zu untersagen. Der Senat folgt insoweit der Rechtsprechung des 4. Senats des LSG Rheinland-Pfalz (23.2.2006), die sich auf im Gerichtsverfahren eingeholte Gutachten bezieht, und überträgt sie auf Gutachten im Verwaltungsverfahren. Ebenso wie im Gerichtsverfahren gibt es keinen Grund für einen generellen Ausschluss von Vertrauenspersonen des zu Untersuchenden von der Anwesenheit bei der Begutachtung. Aus Gründen des fairen Verfahrens muss es dem Probanden grundsätzlich erlaubt sein, eine Person seines Vertrauens an der Untersuchung, der Anamnese und den Unterredungen mit dem Gutachter teilnehmen zu lassen (LSG Rheinland-Pfalz 23.2.2006 a.a.O.). Dem Gutachter muss es allerdings in solchen Situationen freistehen, ebenfalls eine Person seines Vertrauens (z.B. eine Hilfsperson) hinzuzuziehen, um sich notfalls gegen unzutreffende Behauptungen des Probanden wehren zu können. Der Gutachter kann ausnahmsweise der Anwesenheit einer vom Probanden gewünschten Vertrauensperson widersprechen, wenn er einen plausiblen Grund hierfür anführt. Ein solcher kann zB bei psychiatrischen Gutachten die Notwendigkeit sein, die Anamnese und die Untersuchungen unbeeinflusst durch Dritte zu erheben.[…]

Falls Dr. K der Klägerin keinen ausreichenden Grund für seine Ablehnung, die Anwesenheit einer Vertrauensperson zu dulden, angegeben haben sollte, war die Klägerin berechtigt, die Untersuchung, durch diesen Arzt zu verweigern.

[…]

Falls Dr. K der Klägerin keinen ausreichenden Grund für seine Ablehnung, die Anwesenheit einer Vertrauensperson zu dulden, angegeben haben sollte, war die Klägerin berechtigt, die Untersuchung, durch diesen Arzt zu verweigern. Entsprechendes gilt für Dr. R . Dessen Untersuchungsergebnis ist jedoch ungeachtet dessen nicht unverwertbar. Ob ein Verstoß gegen die einzuhaltenden Regeln bei der Beweisaufnahme zu einem Beweisverwertungsverbot führt, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (BSG 15.2.2005 – B 2 U 3/04 R, BSGE 94, 149). Grundrechtsverstöße ziehen idR ein Beweisverwertungsverbot nach sich, reine Verfahrens- oder Formverstöße jedoch nicht (a.a.O.). Ein Grundrechtsverstoß ist im Falle der Klägerin nicht gegeben. Bei der erforderlichen Interessenabwägung kommt der Senat zu dem Ergebnis, dass das Interesse an einer Verwertung des Gutachtens von Dr. R höherrangig ist als das Interesse der Klägerin an einer Unverwertbarkeit.

Quelle: http://www3.mjv.rlp.de/rechtspr/DisplayUrteil_neu.asp?rowguid={DFF7C5B2-5D32-4C7D-9552-6360CF2CE068}

Bei Autisten wäre weiter zu bedenken, daß eine Begründung in der Begutachtungssituation zu spät erfolgen dürfte, da einem Autisten aufgrund der barrierelastigen Situation vor Ort gar nicht zuzumuten ist zu erwägen, ob eine Begründung ausreichen dist oder nicht. Deswegen sollte eine solche Einschränkung rechtzeitig im Vorfeld mitgeteilt werden, wenn die Begutachtung nicht von vorneherein verweigerungswürdig sein soll. Hierüber ist uns allerdings noch keine klare spezifische Rechtsprechung bekannt.

Aus dem Zitat ergibt sich, daß in diesem Fall ein Gutachten als verwertetungsfähig eingestuft wurde, bei dem die begutachtete Person lediglich protestiert, aber nicht die Begutachtung verweigert hatte. Dies veranschaulicht sehr deutlich, daß man unbedingt solchen Umstände verweigern und den Ort physisch verlassen sollte, statt sich bequatschen zu lassen. Wie so oft kann Gutmütigkeit hier wieder einmal rechtliche Nachteile mit sich bringen.

Wer sich für die möglichen Kriterien für Ausnahmen bei psychiatrischen Begutachtungen interessiert, kann sich den Urteilsvolltext anschauen. Allerdings ist hier durchaus fraglich, ob Autisten in diese Kategorie fallen, da es bei Begutachtungen von Autisten wohl nahezu nie um „peinliche Themen“ geht oder um Begleitung von Personen in psychotischem Zustand, die dies später bereuen könnten (aber dies dürfte nach aktuellen Stand der menschenrechtlichen Normen wohl voraussetzen, daß jemand in der Begutachtungssituation als nicht zurechnungsfähig betrachtet betrachtet werden darf). Zudem ist Begleitung auch in der Teilfunktion als Assistenz gerade speziell bei Autisten wegen verbreiteter Barrieren geboten.

Bei einer Verweigerung des Zugangs für Zeugen darf man wohl allgemein auch im Verfahren offen die Frage stellen, ob denn der Gutachter etwas zu verbergen hat. Auch als Zeuge ist eine Begleitung unter Umständen sinnvoll, denn es kommt immer wieder vor, daß Gutachter Angaben machen, die schlichtweg falsch sind, die entweder auf Mißverständnissen beruhen (z.B. Interpretation nach nichtautistischer Art vom Autisten direkt und wörtlich gemeinter Aussagen und Wiedergabe dieser Interpretation, statt der wörtlichen Aussage, Mißverständnisse wegen unterschiedlicher Veranlagung in der Körpersprache) oder völlig frei erfunden scheinen und eventuell manchmal auf Personenverwechslungen überlasteter Gutachter zurückzuführen sind.

Sachlich ist zudem immer im Bereich des Autismus die Frage interessant inwieweit sich ein Gutachter wirklich mit Autismus auskennt. Allgemeine Gutachter haben oft kaum korrekte Kenntnisse und können daher auch nicht unbedingt qualifiziert begutachten. Das gilt für offensichtliche Extremfälle wie die Begutachtung psychischer Sachverhalte durch einen Orthopäden, jedoch auch für Psychiater und Neurologen ohne spezielle Kenntnis zu Autismus. Generell ist es immer sinnvoll einen Gutachter danach zu fragen, was für ein Arzt er ist oder was für eine Ausbildung er sonst vorweisen kann. Ärzte, die schon länger ihr Studium beendet haben, haben mit noch viel höherer Wahrscheinlichkeit kaum mehr als schemenhaftes und im Grunde unbrauchbares Wissen zu Autismus. Ein Gutachter muß jedoch im entsprechenden zu begutachtenden Fall kompetent sein.

Persönliche Uneignung von Gutachtern

Es kommt vor, daß das charakterliche Verhalten von Gutachtern ziemlich autistenuntauglich ist (z.B. schnelles reden, hektische Bewegungen, schwammige Formulierungen). Dies kann deutliche Auswirkungen auf Begutachtungsergebnisse in beide Richtungen haben. Auch hieran sollte man in diesen Situationen denken. Gerade unter solchen Umständen sind auch die obigen Punkte ganz besonders wichtig.

Penible Dokumentation der Begutachtungsgrundlagen

Leider mußten wir in der Praxis die Erfahrung machen, daß immer wieder Gutachter nicht nur kaum fundierte Kenntnisse zu Autismus besitzen, sondern aus welchen Motiven auch immer regelrecht übergriffig werden. In einem Extremfall kam es trotz ausdrücklichen Hinweises einer Begleitperson auf besondere Berührungsempfindlichkeit zu einer vielleicht sadistisch motivierten Handlung. Die umgehend gemachte Strafanzeige gegen den Gutachter wurde von der Staatsanwaltschaft abgetan und zwar weil ihr die Zeugenaussage der Begleitperson nicht ausreichte und der Gutachter selbst bestritt belehrt worden zu sein. Dies ist neben der oben ausgeführten grundsätzlichen Notwendigkeit ein weiterer Anlaß den Kontakt mit dem Gutachter möglichst lückenlos zu dokumentieren.

Aus dieser Fallkonstellation müssen wir schlußfolgern, daß es zum Selbstschutz vor z.B. fremdenfeindlichen Übergriffen bei amtlichen Begutachtungen nicht ausreicht eine Begleitperson mitzunehmen. Zum Selbstschutz sind somit weitere Maßnahmen nötig wie etwa die lückenlose Dokumentation der Begutachtung selbst wie auch vorhergehender Belehrungen und Kontakte auf Video. Dabei ist besonders auch die zu begutachtende Person zu filmen, eher am Rand der Gutachter. Wichtig ist, daß auch Dritte möglichst genau erleben können aufgrund welcher Begebenheiten er zu seinen Einschätzungen gelangte. Sonst bleibt dem Gutachten immer ein Zweifel anhaften: „Wer weiß, was bei dem Treffen passiert ist.“ Optimal wäre sicherlich der Einsatz mehrerer Kameras neben der ggf. ebenfalls zur Sicherheit redundanten Tondokumentation. Dies sollte dem Gutachter vorher angekündigt werden. Lehnt der Gutachter die Umsetzung dieser Selbstschutzmaßnahme ab, sollte der Gutachter deswegen abgelehnt werden. Kein seriöser Gutachter wird Probleme damit haben seine Ausführungen und sein Handeln durch eine solche Dokumentation überprüfbar zu machen.

Das OLG Hamm hat in seinem Beschluß Az. 14 UF 135/14 vom 03.02.2015 zur Begleitperson und Tonbandaufnahme (ohne Autismusbezug, welcher eine Videoaufzeichnung wegen abweichender Körpersprache, etc. deutlich relevanter werden läßt) klargestellt:

Zitat:

Ausschlaggebend ist dabei vor allem der Gesichtspunkt, dass ein medizinisch oder psychologisch zu begutachtender Beteiligter ansonsten keine Möglichkeit hätte, gegenüber abstrakt immer denkbaren Wahrnehmungsfehlern des Sachverständigen effektiven Rechtsschutz zu erlangen. Behauptet er nach Vorliegen des Gutachtens, der dort wiedergegebene Hergang einer Untersuchung oder eines Explorationsgesprächs sei in tatsächlicher Hinsicht unzutreffend, so wird sich der Sachverständige in der Regel darauf berufen, den Hergang nach seiner Überzeugung und Erinnerung richtig aufgezeichnet zu haben. Wenn die Unrichtigkeit der Wiedergabe dann nicht ausnahmsweise durch objektive Anhaltspunkte gestützt wird, hat der Beteiligte keine Möglichkeit, sie zu belegen und sich damit erfolgreich gegen ein ihm nachteiliges Gutachtenergebnis zu wenden. Die Hinzuziehung einer Begleitperson hingegen erlaubt es ihm in diesem Fall, mit Aussicht auf Erfolg einen Zeugenbeweis anzutreten. Gegenüber diesem wesentlichen Verfahrensgesichtspunkt muss die Besorgnis einer etwaigen Beeinflussung des Untersuchungsganges – speziell im psychiatrischen und psychologischen Bereich – durch die bloße Anwesenheit der Begleitperson in einer angemessenen Hörweite hingenommen werden. Falls der Sachverständige nach der Untersuchung zu der begründbaren Auffassung gelangen sollte, dass eine Beeinflussung erfolgt sei und das Untersuchungsergebnis deshalb eine geringere Aussagekraft habe als wenn es ohne Begleitperson gewonnen worden wäre, kann er dies in seinem Gutachten darlegen, ebenso wie er es tun müsste, wenn die Aussagekraft durch eine gänzliche Weigerung, sich begutachten zu lassen, oder durch sonstige fehlende Tatsachengrundlagen herabgesetzt wäre. Die Würdigung hätte dann letztlich das Gericht vorzunehmen.Nicht zu gestatten ist hingegen einer mitgebrachten Begleitperson, sei es dem anwaltlichen Bevollmächtigten oder einem Privatgutachter, eine Beteiligung an dem Untersuchungsgespräch durch Fragen, Vorhalte oder sonstige Äußerungen. Hierdurch wäre bei einer medizinischen oder psychologischen Untersuchung, anders als z. B. bei einem baurechtlichen Ortstermin, eine erhebliche Störung der Untersuchung und auch Beeinflussung ihres Ergebnisses zu befürchten, wohingegen die Rechte des zu Begutachtenden in diesem Punkt durch die Möglichkeit nachträglicher schriftlicher Stellungnahmen und/oder einer mündlichen Befragung des Sachverständigen im Gerichtstermin hinreichend gewahrt sind.

Deshalb hat der Senat die Sachverständige zur Zulassung einer sich am Gespräch nicht beteiligenden Begleitperson angewiesen. Sofern sie allerdings noch zu einem Einvernehmen mit dem Antragsgegner darüber gelangen sollte, dass eine Tonaufzeichnung der Anwesenheit einer Begleitperson vorzuziehen ist, weil dies zu einer noch geringeren Beeinträchtigung des Explorationsergebnisses führt und die Begleitperson ohnehin kein Beteiligungsrecht hat, wäre der Weisung des Senats auch durch die Tonaufzeichnungsmöglichkeit Genüge getan.

Quelle: http://www.justiz.nrw.de/nrwe/olgs/hamm/j2015/14_UF_135_14_Beschluss_20150203.html

Anzumerken ist im Fall der Begutachtung von Autisten, daß auch ein Eingreifen von Begleitpersonen gerechtfertigt werden kann, weil Autisten mitunter in fremden Situationen wehrlos gegen Situationen werden, die sich sich nicht ausgesetzt werden sehen möchten. Hier kann die Begleitperson von Autisten im Auftrag des zu begutachtenden Autisten nach dessen Maßgabe schützend einschreiten.

Begutachtungen sind leider noch immer ein zentraler Teil der Einforderung elementarer, nicht selten auch lebenswichtiger Rechte von Autisten. Es ist in keiner Weise hinnehmbar, daß Autisten sich hierbei Schikanen einzelner (leider auch nicht so seltener) „schwarzer Schafe“ unter den Gutachtern ungeschützt und quasi rechtlos aussetzen müssen würden. Und daß die Maßnahme zur Wahrung der eigenen Rechte erforderlich ist geht aus der obigen Schilderung hervor.

Diagnosen

Bezüglich Pflegestufen sind keine ärztlichen Diagnosen erforderlich, der MDK begutachtet hierzu sinngemäß orientiert am ICF. Auch wenn oft massenweise Diagnosen bei Pflegeanträgen vorhanden sind, sind diese formal gesehen keine Voraussetzung. Ein undiagnostizierter Autist kann also im Prinzip auch Leistungen nach diesem System erhalten.

Akteneinsicht

Diese regelt sich allgemein wie folgt:

Zitat:

§ 630g BGB – Kopien der Patientenakte
(1)Dem Patienten ist auf Verlangen unverzüglich Einsicht in die vollständige, ihn betreffende Patientenakte zu gewähren, soweit der Einsichtnahme nicht erhebliche therapeutische Gründe oder sonstige erhebliche Rechte Dritter entgegenstehen.

Autism Speaks: Eugenische Forschung unter dem Deckmäntelchen der autistischen Interessenvertretung

Autism Speaks

2005 wurde von Suzanne und Bob Wright (Direktor des US-TV-Unternehmens NBC), den Grosseltern eines Autisten, eine Stiftung gegründet, die sich während der kurzen Zeit ihres Bestehens zu einer aggressiv auftretenden Geldsammel-Institution entwickelt hatte, die nicht nur in den USA einen enormen Einfluss auf die Öffentlichkeit ausübt, sondern auch die Forschungsausrichtung zu Autismus massgeblich beeinflusst. Das Ziel der Stiftung ist es, wie Suzanne Wright in einem Gastbeitrag in der Zeitschrift Parade (http://www.parade.com/articles/editions/2008/edition_01-27-2008/Autism_C… 27.1.2008; der Inhalt des Artikels ist mit Stand vom 28.4.2015 in dieser Quelle einsehbar: https://archive.is/rFC85) schrieb, „ultimately eradicate autism for the sake of future generations“ (Autismus zum Wohl zukünftiger Generationen auszurotten; eigene Übersetzung).

Die autismusverachtende Einstellung von Autism Speaks tritt auch immer wieder während der Veranstalungen der Stiftung zutage. So äusserte Wright beispielsweise: „“We are walking toward a future of hope, a future of promise, and a future when autism is not a daily struggle for millions of families but a word for the history books. I’m convinced that together we are going to dramatically change the field of autism in education, research, and treatment. We are indeed entering a new decade for autism.“ (http://www.autismspeaks.org/sponsoredevents/new_decade_for_autism.php; Wir gehen einer Zukunft der Hoffnung, einer Zukunft der Versprechungen entgehen und einer Zukunft, in der Autismus nicht mehr ein täglicher Kampf für millionen von Familien ist, sondern ein Wort für die Geschichtsbücher. Ich bin überzeugt, dass wir gemeinsam den Autismusbereich in den Sektoren Bildung, Forschung und Behandlung grundlegend verändern werden. Wir betreten eine neue Ära des Autismus; eigene Übersetzung).

Hauptaktivität von Autism Speaks ist tendenziöse Forschung, die zum Ziel hat, die „Ursachen“ von Autismus zu finden und daraus einen pränatalen Test zu entwickeln, um Spätabtreibungen zu ermöglichen – bei Trisomie 21 entspricht dies bereits heute der üblichen Praxis. Hierbei handelt es sich weitestgehend um Forschung, deren Ausrichtung bereits von Anfang an vorgegeben ist. Diese Zielsetzung prägt die Einstellung, mit der die Wissenschaftler an die zu beantwortenden Fragestellungen herangehen. Es wird davon ausgegangen, daß das, was oft fälschlich und oberflächlich als Autismus wahrgenommen wird, eine feste individuelle Veranlagung sei und der Faktor gravierend mangelnder, oft sogar relativ einfach herzustellender Barrierefreiheit (mangels autistischer Empathie) nicht erkennbar berücksichtigt. Von einem ethischen Standpunkt aus betrachtet, ist eine solche Forschung, deren angestrebte Resultate gewissermassen von vornherein feststehen, überaus problematisch und vom Gesichtspunkt seriöser Wissenschaft her ohnehin. Würde heutzutage beispielsweise ein Forschungsinstitut verkünden, sie wollten die „Ursachen“ für Homosexualität finden, um selbige ausrotten zu können, würde dies eine immense Protestwelle auslösen. Vor einigen Jahrzehnten wäre ein solches Forschungsunterfangen wohl gesellschaftlich gebilligt worden und zahlreiche Personen hätten vermutlich sogar behauptet, dass diese Forschung zum Wohle der Homosexuellen vorangetrieben werden müsse, damit auch diese endlich vollwertige und leistungsfähige Mitglieder der Gesellschaft werden könnten. So abwegig dies in Bezug auf Homosexualität wirken mag, so ist dies doch heutzutage bezüglich Autismus Normalität. Eine ähnliche Entwicklung weg von diskriminierenden kulturellen Vorstellungen, wie sie in Bezug auf Homosexuelle, oder auch Gehörlose in den vergangenen Jahrzehnten vonstatten ging, ist in Bezug auf Autismus zu erwarten.

Tendenziöse Forschung, bei der die Forscher gewissermassen ihre eigene, der Mehrheit entsprechende Sicht der Welt bestätigen wollen, birgt auch allgemeine Problematiken, wie etwa die Unvereinbarkeit mit dem wissenschaftlichen Objektivitätsgebot. So hängt beispielsweise, gemäss Standpunkttheorie, wissenschaftlicher Erkenntnisgewinn von der Position des Forschers innerhalb der herrschenden gesellschaftlichen Ordnung ab. Forscher, die sich mit den gegebenen Machtverhältnissen identifizieren können, haben, wenn überhaupt, im Gegensatz zu Angehörigen von Minderheiten nur ein geringes Interesse daran, etwas an den herrschenden Umständen verändern zu wollen. Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe bestimmt die Perspektive, mit der an eine Fragestellung herangegangen wird, allerdings ist, soweit die Theorie, der Standpunkt einer untergeordneten Gruppe objektiver als derjenige der herrschenden Gruppe, da die Minderheit aufgrund ihrer Minderheitenposition für die herrschende Gruppe Verständnis aufbringen muss und sich dies auch in ihrer Sicht der Welt niederschlägt (Harding 2004). In Bezug auf Autismusforschung bedeutet dies, dass es für ein umfassendes Verständnis von Autismus nötig wäre, die Sichtweise der nichtautistischen Mehrheit zu verlassen, sich von der pathologisierenden, auf Defizite fixierten Beschreibung von Autismus zu distanzieren und die Sichtweise der autistischen Minderheit anzunehmen und davon ausgehend eine ausgewogene Beschreibung von Autismus zu versuchen. Autism Speaks nähert sich diesem Ideal nicht einmal annähernd, versucht stattdessen Autisten durch Einschüchterungsmassnahmen mundtot zu machen und berücksichtigt die Meinungen und Erfahrungen von Autisten nicht einmal ansatzweise in der Erkenntnisgewinnung. Autism Speaks schafft es nicht annähernd, die Herkunft des Gründers aus dem Bereich des Privatfernsehens und dessen Gebarens zu überwinden.

Autism Speaks wurde 2008 von den Vereinten Nationen als Nichtregierungsorganisation anerkannt. Gemäss zugehöriger Pressemitteilung von Autism Speaks, ermögliche diese Anerkennung der Stiftung ein breiteres Publikum und somit verbesserte Möglichkeiten, „to promote the dignity, equal rights, social progress and better standards of life for individuals with autism.“ (die Würde, Gleichberechtigung, sozialen Fortschritt und bessere Standards für das Leben von Individuen mit Autismus zu fördern; Pressemitteilung von Autism Speaks http://www.autismspeaks.org/press/united_nations_ngo_dpi.php 18.12.2008; eigene Übersetzung). Tatsächlich tritt Autism Speaks die Interessen von Autisten regelrecht mit Füssen, so wie die Anerkennung der Stiftung dem Geist der UN Konvention über die Rechte behinderter Menschen widerspricht. Auch eine Zusammenarbeit von Autism Speaks und der Europäischen Union findet statt (http://ec.europa.eu/health/ph_information/dissemination/diseases/autisti…).

Zahlreiche Behindertenorganisationen haben sich mittlerweile öffentlich von der Organisation Autism Speaks distanziert. Diese Organisationen sind der Meinung, dass Autism Speaks die Interessen von Autisten in keiner Weise vertritt, sondern vielmehr auf aggressive Weise die üblichen Vorurteile, die in Bezug auf Autismus im Umlauf sind, verfestige, Falschinformationen verbreite – so wurde beispielsweise in Studien belegt, dass in Familien mit autistischen Kindern Scheidungen nicht wahrscheinlicher sind, als in Familien ohne solche Kinder; Autism Speaks behauptet das Gegenteil – sowie die Position behinderter Menschen nachhaltig schädige. Durch das Auftreten von Autism Speaks würden Klischees und Vorurteile über Autisten verfestigt und dies würde die gesellschaftliche Ausgrenzung autistischer Personen massiv verstärken (offener Brief an die Spender von Autism Speaks http://www.autisticadvocacy.org/modules/smartsection/item.php?itemid=60 7.1.2009 ).

Forschung

2008 wurden 65% der finanziellen Mittel der Stiftung in, wie oben erwähnt, tendenziöse Forschung investiert (Jahresbericht 2008 http://www.autismspeaks.org/docs/Autism_Speaks_Annual_Report_2008.pdf). Das Forschungsprogramm von Autism Speaks besitzt vier Schwerpunkte: (1) die Suche nach den „Ursachen“, (2) die Erforschung der Autismus zugrundeliegenden „biologischen Mechanismen“, (3) eine weitere Ausdifferenzierung der Diagnosemöglichkeiten, damit weniger Autisten undiagnostiziert bleiben sowie (4) die Suche nach möglichst effektiven „Behandlungsmöglichkeiten“. Bei dieser Ausrichtung bleibt, soweit zu erkennen, völlig unbeachtet, welche Rolle das Umfeld bei der Ausprägung „autistischer Symptome“ hat, die oft allgemeinmenschliche Überlastungsreaktionen sind.

Der Bereich der einseitig verzerrten „Ursachenforschung“ ist ganz im Sinne der oben umrissenen Zielsetzung die Hauptaktivität von Autism Speaks. Hauptschwerpunkt des Bereichs ist Genforschung, die durch eine Beteiligung am Autism Genome Project (AGP), das eine Partnerschaft unterschiedlicher Forschungsinstitute darstellt, abgedeckt wird. Grösstenteils handelt es sich hierbei um Forschung, die zum Ziel hat, die „Ursache“ von Autismus zu finden und daraus einen pränatalen Test zu entwickeln (ASAN Central Ohio http://asancentralohio.blogspot.com/2009/08/why-autism-speaks-does-not-s… 16.8.2009; neuere Fassung: http://asansouthwestohio.blogspot.com/2009/10/why-autism-speaks-does-not… ), der zur Folge hätte, dass bei Autisten Spätabtreibungen möglich würden, wie dies bereits massenhaft bei Kindern mit Trisomie 21 üblich ist. So äusserte 2005 Dr. Simon Buxbaum, der damalige Leiter der Mount Sinai School of Medicine, die eng mit dem von Autism Speaks mitbegründeten AGP zusammenarbeitet, es sei nur eine Frage der Zeit, bis endlich die wichtigsten für Autismus verantwortlichen Gene identifiziert wären, was dann die Möglichkeit eines pränatalen Tests für Autismus zur Folge hätte. Buxbaum schätzte die Zeitspanne, die nötig wäre, um einen solchen Test zu entwickeln auf zehn Jahre (MSNBC http://www.msnbc.msn.com/id/7013251 23.2.2005). Die Forschung in diese Richtung wird intensiv vorangetrieben. Anfangs des Jahres 2009 veröffentlichte Professor Baron-Cohen, Leiter eines Forschungsprojektes der Universität von Cambridge, das sich mit den Mengen fetalen Testosterons im Fruchtwasser beschäftigt, im British Journal of Psychology eine Studie, derzufolge die Menge fetalen Testosterons darüber Aufschluss geben könne, ob das Kind autistisch sei (BJP 2009; 100: 1-22). Gemäss Baron-Cohen, dessen Forschungsinstitut sowohl von Autism Speaks, als auch vom Medical Research Council, das gemeinsam mit Autism Speaks, das AGP finanziert, finanziell unterstützt wird, sei nun ein pränataler Test für Autismus in Reichweite, wobei dieser ethische Fragen aufwerfe, da Autisten in Teilbereichen zu Höchstleistungen fähig wären (Medical News http://www.news-medical.net/news/2009/01/12/44865.aspx 12.1.2009). Diese Äusserung impliziert, dass der Wert eines Menschen anhand seiner Leistungsfähigkeit bestimmt werden kann und weniger leistungsfähige Menschen auch weniger wert seien, was veranschaulicht, was in diesen Kreisen mittlerweile unter Ethik verstanden wird. Derart euthanasieartige Vorgänge zu rechtfertigen zeugt von einer Reduzierung des Menschen auf seine ökonomische Leistung und lässt eine grundlegend lebensverachtende Einstellung vermuten.

Insbesondere diese Forschungsprojekte stehen in starker Kritik von Anhängern der Autistic Pride Bewegung und von Abtreibungsgegnern. Es wird befürchtet, dass es, sobald ein solcher Test verfügbar sein wird, zu routinemässigen Abtreibungen kommt. Die werdenden Mütter hätten ohne erhebliche Eingenrecherche faktisch keine angemessene Möglichkeit, zu entscheiden, ob sie das autistische Kind behalten oder abtreiben wollen, da die Informationen über Autismus, die den werdenden Eltern von den Ärzten zur Verfügung gestellt würden, aller Wahrscheinlichkeit nach stark negativ verzerrt wären und es den werdenden Eltern kaum ermöglichen würde, sich ein angemessenes, realistisches Bild über Autismus zu machen. Die werdenden Eltern würden in diesem Fall regelrecht zur Abtreibung gedrängt. Wie sich bereits bei der pränatalen Diagnostik zu Trisomie 21 zeigte, nutzen werdende Eltern dieses Wissen lediglich in den seltensten Fällen, um sich auf das Kind angemessen vorzubereiten oder sich differenziert zu informieren, sondern wählen in 90% der Fälle die Möglichkeit der Abtreibung. Im Falle des Autismus ist auch aufgrund verbreiteter Klischeevorstellungen zu Autismus von einer ähnlichen Entwicklung auszugehen. Ausserdem wird kritisiert, dass Steuergelder in eugenische Forschung investiert werden (ASAN http://www.autisticadvocacy.org/modules/smartsection/item.php?itemid=25 13.3.2008). Eine Hochrechnung der privaten Website Ventura 33 ergab, dass es – unter der Annahme, dass es viel mehr Menschen gibt, die autistisches Erbgut haben – durchaus denkbar wäre, dass nicht nur Feten abgetrieben würden, die später tatsächlich auch eine Autismusdiagnose bekämen, sondern weitaus mehr Personen – unter Umständen mehr als 100 Millionen. Dies entspricht mehr als einem Drittel der gesamten US-Bevölkerung und wäre, sofern es tatsächlich zu routinemässigen Abtreibungen kommen sollte, die grösste eugenische Tötungsaktion der Geschichte (Autistic Genocide Clock http://www.ventura33.com/clock/ ). Ferner unterstützt Autism Speaks Forschungsprojekte, die sich mit der Fragestellung beschäftigen, inwiefern Autismus durch Umwelteinflüsse, wie beispielsweise durch Umweltgifte, verursacht werden kann. Allerdings werden auch hierbei veränderbare Einflüsse der Umgebung ausgeblendet und daraus resultierende Überlastungreaktionen fälschlicherweise Autismus zugeschrieben. Einen weiteren Schwerpunkt im Bereich der „Ursachenforschung“ bildet ein „Autism Epidemology Network“, das gemeinsam von Autism Speaks und den Centers for Disease Control and Prevention (CDC), das ein internationales Netzwerk dastellt, in dem Informationen zur Epidemologie von Autismus gesammelt werden. In den 90er Jahren begannen sich die Autismusdiagnosen zu häufen und zeitgleich wurden auch zunehmend mehr Kinder mit der MMR-Impfung geimpft. Es entbrannte eine lang anhaltende Debatte darüber, inwiefern Autismus durch mögliche Impfschäden verursacht sei (About.com:Autism http://autism.about.com/od/causesofautism/a/MMRVaccine.htm 1.6.2009). Mittlerweile gilt diese These als widerlegt, hat aber noch immer ihre Anhänger. Die Position von Autism Speaks ist eindeutig: Die MMR-Impfung sei eine gute Sache und nicht für Autismus verantwortlich. Indes wird auch anhand dieser Impfdebatte erkenntlich, wie Autism Speaks mit Andersdenkenden umgeht. Katie, die Tochter von Susan und Bob Wright und die Mutter des Autisten, ist nämlich, entgegen der Meinung von Autism Speaks, davon überzeugt, dass der Autismus ihres Sohnes durch einen Impfschaden zustande kam. Diese Meinung vertritt sie auch öffentlich und bekommt wohl auch durch ihre Nähe zu Autism Speaks mediale Aufmerksamkeit. Dies führte zu einem familiären Zerwürfnis und die Wrights distanzierten sich öffentlich von Katies Meinung. Zahlreiche Eltern befürchten, dass Autism Speaks sich zu sehr auf die möglichen genetischen „Ursachen“ von Autismus fixiert und andere Möglichkeiten nicht beachtet. Die Wrights gehen nicht auf diese Befürchtungen ein (New York Times http://www.nytimes.com/2007/06/18/us/18autism.html 18.6.2007). Indes hat diese Debatte auch Auswirkungen auf Autism Speaks. So befürchten einige Anhänger der Stiftung – aufgrund von Forschungsprojekten, die sich mit Umwelteinflüssen auf die Entstehung von Autismus beschäftigen -, dass Katie die Ausrichtung von Autism Speaks massgeblich prägen könnte. Es kam bereits zu mehreren Austritten von Vorstandsmitgliedern (post-gazette.com http://www.post-gazette.com/pg/09228/991232-114.stm 16.8.2009). Die Gerichte, die sich mit Klagen von Eltern gegen Pharmakonzerne aufgrund von angeblich durch Impfschäden verursachten Autismus befassen, teilen die Ansicht von Autism Speaks, dass es keinen Zusammenhang zwischen der MMR-Impfung und Autismus gibt. Staatliche Gesundheitsexperten sind in den USA ebenfalls dieser Ansicht (healthfinder.gov http://www.healthfinder.gov/news/newsstory.aspx?docID=624083 12.2.2009).

Der zweite Forschungsschwerpunkt, nämlich die Autismus zugrundeliegenden biologischen Mechanismen, beinhaltet Forschungsprojekte in den Bereichen Neurowissenschaft, Physiologie sowie Molekularbiologie. Als eines der Hauptprojekte in diesem Bereich ist eine Brain Development Initiative zu erwähnen, die zum Ziel hat, herauszufinden, weswegen sich die Hirnstrukturen von Autisten mitunter erheblich von denjenigen nichtautistischer Menschen unterscheiden würden.

Dritter Forschungsschwerpunkt ist die Suche nach neuen Diagnosemethoden, mit denen effizientere und frühere Diagnosen gestellt werden können, als es heute der Fall ist. Dieser Schwerpunkt wird weitgehend durch das High Risk Baby Siblings Research Consortium, ein Konsortium, das von Autism Speaks und dem nationalen Gesundheitsministerium betrieben wird, abgedeckt. Ziel ist es, namhafte Forscher im Bereich Autismusforschung zu vereinen und dadurch möglichst effektive Diagnosemethoden zu entwickeln. Hier spielen Erkenntnisse aus den ersten beiden Forschungsschwerpunkten eine entscheidende Rolle. Solche verbesserten Diagnosemöglichkeiten hätten vor allem zur Folge, dass noch früher mit möglichen, schädlichen Therapien angefangen würde und die Kinder noch stärkerem Anpassungsdruck ausgesetzt wären.

Den vierten Schwerpunkt bildet die Entwicklung neuer Therapiemethoden und Weiterentwicklung bestehender Therapien, damit die autistischen Kinder möglichst effektiv zu nichtautistischen Kindern umerzogen werden könnten. Die Schäden, die durch die Umerziehung von Links- zu Rechtshändern verursacht werden, gelten mittlerweile als anerkannt, für Autismus steht ein solcher Nachweis, vermutlich vor allem aufgrund der einseitigen Forschungsausrichtung zu Autismus, noch aus.

Öffentlichkeitsarbeit

Ein weiterer Bereich der Aktivität von Autism Speaks beinhaltet die Öffentlichkeitsarbeit, für die insgesamt 31% der finanziellen Mittel verwendet werden, wobei 3% davon speziell für die Beziehung zur Regierung reserviert sind. Dabei ist anzumerken, dass dies gleichzeitig das – oft mit kitschigen, klischeehaften Spendenaufrufen agierende – Finanzierungsmodell von Autism Speaks darstellt. Bei diesem Bereich handelt es sich keineswegs um Öffentlichkeitsarbeit im Interesse autistischer Menschen, geschweige denn sachlich ernstzunehmende Aufklärung, sondern weitestgehend um die Etablierung eines einflussreichen Netzwerkes, das Autism Speaks ermöglicht eigene Interessen möglichst ungehindert durchsetzen zu können. Autisten kommen in diesen öffentlichen Darstellungen nicht zu Wort und werden häufig gewissermassen als von Autismus besessen dargestellt. Es wird von Autism Speaks davon ausgegangen, dass Autismus von der eigentlichen Persönlichkeit eines Menschen getrennt werden könne und der unter Autismus verschüttete Mensch befreit werden müsse. Das Selbstbestimmungsrecht behinderter Menschen wird von Autism Speaks weitestgehend ignoriert und Autisten, die sich öffentlich kritisch äussern, müssen damit rechnen, verklagt zu werden. Auch beschäftigt Autism Speaks nicht einmal symbolisch Autisten in führenden Positionen. Diese Problematik wurde von Autism Speaks zwar eingestanden und es wurde versprochen, etwas diesbezüglich zu ändern, allerdings blieb es bislang bei diesen Versprechungen. Diese Verweigerung der Möglichkeit zur Teilhabe an den relevanten Entscheidungsprozessen verstosse gemäss ASAN gegen den Geist der Menschenrechte (ASAN http://www.autisticadvocacy.org/modules/smartsection/item.php?itemid=25 13.3.2008).

In den wenigen Jahren ihres Bestehens gelang es Autism Speaks immensen Druck auf Regierungen und internationale Organisationen aufzubauen. So wurde beispielsweise 2008 von Autism Speaks eine Website namens „AutismVotes.org“ eingerichtet, die aufzeigt, welchen Stand welche Vorlagen im Parlament besitzen und auch eine Plattform bietet, effektive Lobby-Arbeit zu betreiben. Bereits vor den letzten Präsidentschaftswahlen lancierte Autism Speaks eine Kampagne, mit der die Präsidentschaftskandidaten bereits vor ihrer möglichen Wahl, über effektive Unterstützungsmöglichkeiten der Organisation informiert wurden. Auch der amtierende Präsident der USA, Barack Obama, konnte für die Ziele von Autism Speaks gewonnen werden. Obama versprach in einer Rede vom 30. September 2009 den bislang grössten Betrag, den die amerikanische Regierung in Autismusforschung, die massgeblich von Autism Speaks wie erwähnt tendenziös geprägt wird, zu investieren – gemäss Angaben von Autism Speaks beläuft sich dieser auf fünf Milliarden Dollar. Indes ist anzumerken, dass die amerikanische Regierung mittlerweile offenbar auch den Dialog mit Vertretern der Autistic Pride Bewegung sucht. So nominierte Obama am 16.12.2009 (Pressemitteilung des Weissen Hauses http://www.whitehouse.gov/the-press-office/president-obama-announces-mor…) Ari Ne‘eman, den Vorsitzenden des Autistic Self Advocacy Network (ASAN) in den National Council on Disability (NCD). Der 1978 innerhalb des amerikanischen Bildungsministeriums gegründete NCD umfasst 15 Mitglieder, die eine Beratungsfunktion inne haben und Strategien erarbeiten sollen, die es behinderten Menschen ermöglichen, ein gleichberechtigtes Leben zu führen.

Die Öffentlichkeitsarbeit von Autism Speaks zeichnet sich insbesondere durch reisserische Kampagnen aus, die keineswegs echte Aufklärung darstellen, sondern eine überaus verzerrende, klischeehafte Darstellung von Autismus bieten, die mit Autismus an sich im Grunde kaum etwas zu tun hat und vielmehr der Generierung von Spendengeldern dient. In der Vergangenheit wurden gegen Anhänger der Autistic Pride Bewegung, die sich gegen eine solche öffentliche Darstellung wehrten, immer wieder Einschüchterungsmassnahmen unternommen, obwohl dieser Widerstand klar in den Bereich der Meinungsfreiheit fällt und somit legal ist. So wurde beispielsweise einer 14-jährigen Autistin, die eine Parodiewebsite namens NT-Speaks betrieb, mit Geldforderungen, die sich auf $90‘000 belaufen, gedroht, sofern sie nicht bereit sei, die Website offline zu nehmen, den Quellcode zu zerstören und die Domain Autism Speaks zu überschreiben (About.com:Autism http://autism.about.com/b/2008/01/22/when-is-a-humorous-site-not-so-funn… 22.1.2008). Auch ein autistischer Blogger, der T-Shirts mit der Aufschrift „Autism Speaks can go away. I have autism. I can speak for myself“ (Autism Speaks kann verschwinden. Ich habe Autismus. Ich kann für mich selbst sprechen.; eigene Übersetzung) verkaufte, wurde von der Firma, bei der er die T-Shirts vertrieb, benachrichtigt, dass Autism Speaks auf sie zugekommen sei und es aufgrund möglicher rechtlicher Konsequenzen am Besten sei, wenn er die T-Shirts aus seinem Online-Shop nehmen würde. Auf Nachfragen behauptet die Firma mittlerweile, Autism Speaks hätte ein anderes T-Shirt bemängelt, allerdings wurde nicht bekannt gegeben, um welches es sich handle und Autism Speaks behauptet, die Firma niemals kontaktiert zu haben (WrongPlanet http://www.wrongplanet.net/article371.html ). Indes können Anhänger der Autistic Pride Bewegung diesbezüglich auch Erfolge verbuchen. Nach erheblichen Protesten wurde beispielsweise das Video „I am Autism“ (Link zum Video: http://www.youtube.com/watch?v=HDdcDlQVYtM), in dem eine Stimme, die wohl den Autismus verkörpern sollte, davon sprach, wie böse Autismus sei und, dass Autismus das autistische Kind gewissermassen entführt habe sowie die negativen Auswirkungen, die Autismus auf das Umfeld des autistischen Kindes ausübe, erwähnte, von der Website von Autism Speaks entfernt und der Inhalt des Videos als persönlicher Ausdruck der Macher des Films, die beide ein autistisches Kind zu Hause hätten, bezeichnet (Time http://www.time.com/time/health/article/0,8599,1935959,00.html 6.11.2009).

Aktivitäten angeblich zugunsten von Familien mit autistischen Kindern

4% der Gesamtsumme werden für Familien mit autistischen Kindern investiert, wobei es sich hierbei, soweit erkennbar ist, faktisch um Aktivitäten handelt, die den autistischen Kindern keinen Nutzen bringen und für sie womöglich sogar schädlich sind. Inwiefern diese Aktivität von der Öffentlichkeitsarbeit zu trennen ist, ist fraglich. Die Vermutung, dass es sich hierbei um einen Tätigkeitsbereich handelt, der weitgehend eine Fassadenaktivität zur Generierung neuer Spendengelder und der Vermittlung eines Wohltätigkeitsimages darstellt, scheint naheliegend. Die Schwerpunkte in diesem Bereich waren 2008 ein „100 day kit“ als Ratgeber für Eltern für die ersten 100 Tage nach der Diagnose sowie einen ebensolchen Ratgeber für die Schule, finanzielle Mittel für Therapieeinrichtungen, Datenbanken in denen sich Eltern über Therapeuten u.ä. in ihrer Nähe informieren können, finanzielle Unterstützung für in Not geratene Familien, eine Beratungshotline und ein Beratungsprogramm für Eltern mit inzwischen erwachsenen autistischen Kindern. Anfang des Jahres 2009 kürzte Autism Speaks die Gelder dieses Bereichs um 15%. Gemäss der Stiftung sei dieser Schritt aufgrund der Wirtschaftskrise erforderlich gewesen (examiner.com http://www.examiner.com/x-21742-Long-Island-Autism-Examiner~y2009m12d2-A… 2.12.2008). Hierbei handelt es sich sowohl um den deutlich kleinsten, als auch den einzigen Sektor, der tatsächlich für Familien mit autistischen Kindern und Autisten investiert wird. Aufgrund dieser Kürzung liegt die Annahme nahe, dass es Autism Speaks, wenn überhaupt, nur zweitrangig darum geht, Autisten tatsächlich zu unterstützen.

7 allgemeine Distanzierungen

Der ESH begegnen im Alltag immer wieder Ansichten, die wir problematisch finden. Aus diesem Grund möchten wir uns geballt von verschiedenen Sachverhalten distanzieren und teils Lösungen aufzeigen.

1. Zur Ansicht Autismus stelle eine Krankheit, eine Störung, Entwicklungsverzögerung etc. dar
Autismus ist keine Krankheit. Ebenso, wie vor wenigen Jahrzehnten Homosexualität, wird Autismus heutzutage als Krankheit betrachtet. Hierbei handelt es sich nicht um eine objektive Einordnung, sondern um den Ausdruck letztlich willkürlicher kultureller Normen einer Gesellschaft, die es nicht fertigbringt, sich selbst positiv zu definieren und zu diesem Zweck Abgrenzungen benötigt zu Eigenschaften, die dann als schlecht eingeordnet werden. Etwas als Krankheit einzuordnen macht unmißverständlich klar, daß dieses Etwas zur Beseitigung vorgesehen wird. Wenn ich einen Schnupfen habe und diesen als Krankheit bezeichne, dann tue ich dies, weil ich ihn unangenehm finde, mich von ihm gestört fühle. Autismus ist jedoch eine angeborene Persönlichkeitsveranlagung, die allenfalls unter den aktuell gegebenen Lebensumständen ein erhöhtes Risiko zu verschiedenen Problematiken mit sich bringt. Das ist jedoch nicht auf Autismus zurückzuführen, sondern auf die Folgen der Minderheitenstellung der Autisten in dieser Gesellschaft. Erst seit Kurzem wird dieser Diskriminierung mit allgemeinen Entwicklungsansätzen wie dem Universellen Design von Industriewaren und Dienstleistungen Rechnung getragen. In einer vergleichbaren Minderheitenposition würden durchschnittliche Nichtautisten innerhalb einer – durchaus auch realistisch lebensfähigen – autistischen Mehrheitsgesellschaft vermutlich unter ähnlichen Problemen leiden. Die Tragweite dieser Feststellung wird nach derzeitigem Stand leider nur einer Handvoll Nichtautisten klar sein, da fast nur sehr oberflächliches Pseudowissen zu Autismus vorherrscht und die Wissenschaft sich in diesem Bereich ungefähr auf einem Stand befindet, der der historischen Ansicht gleicht, weibliche Hysterie könne durch Entfernung der Gebärmutter geheilt werden.
Zu beobachteten Entwicklungsabläufen ist anzumerken, daß Autisten sich zumindest unter den gegebenen Umständen oft anders entwickeln. In einigen Bereichen sind sie gleichaltrigen Nichtautisten mitunter „weit voraus“, in anderen diese ihnen. Da Autisten jedoch von ihrem Umfeld als krank betrachtet werden, werden oft einseitige Beschreibungen vorgenommen, die dann pathologisierend ausfallen und in diesem Sinne ein ausschließlich defizitäres Bild zeichnen. Dieses wird dann oft von anderen Personen wieder aus den Unterlagen abgeschrieben, weil ja heute praktisch jeder im Gesundheitswesen überlastet ist und unter dem Druck steht, möglichst leistungsfähig zu erscheinen. Bei umgekehrten Vorzeichen könnte man auch durchschnittliche Nichtautisten als entwicklungsverzögert betrachten. Eine besondere Tragik besteht darin, daß immer wieder Autisten aufgrund dieser Einordnung bei letztlich nutzlosen Umerziehungsversuchen zu von Nichtautisten als Norm betrachteten Gewohnheiten psychisch grundlegend zerrüttet werden, statt ihnen in ihren vorhandenen Stärken unbeschwerte Bildung zu ermöglichen. Unter anderem hierbei ergeben sich deutliche Parallelen zu Diskriminierungen von Gehörlosen.
Kurz: Autisten werden durch änderbare Lebensumstände krank gemacht, sind jedoch nicht wegen ihres Autismus krank. Autisten werden durch änderbare Lebensumstände gestört, sind jedoch nicht wegen ihres Autismus gestört. Autismus ist eine runde Sache, die einem erfüllten Leben nicht entgegensteht.

2. Jemand „habe“ Autismus, „leide“ unter Autismus, sei von Autismus „betroffen“, sei „autistisch behindert“, ein „Mensch mit Autismus“, ein „Mensch mit Behinderung“, etc.
Viele Autisten haben tiefes und umfassendes Leid dadurch erlebt, daß Nichtautisten sie mittels ihrer nichtautistischen Empathie (die eine Projektion ihrer Selbstwahrnehmung auf Mitmenschen darstellt) als Nichtautisten betrachteten, die von Autismus gewissermaßen verschüttet sind und Autisten von diesem vermeintlichen Zustand zu befreien versuchten. Deswegen reagieren viele Autisten sehr empfindlich, wenn Autismus von ihnen als Mensch in irgendeiner Weise als getrennt dargestellt wird. Die Persönlichkeit eines Autisten ist nicht trennbar von dem Persönlichkeitselement Autismus.
Deswegen „hat“ niemand Autismus, sondern ist Autist. Deswegen leidet niemand unter Autismus, sondern unter einer nichtautistisch geprägten, diskriminierend gestalteten Kulturlandschaft. Deswegen ist niemand von Autismus „betroffen“, denn Betroffensein weist auf etwas „Schlimmes“ hin, was Autismus als etwas Schönes nicht ist. Deswegen ist niemand „autistisch behindert“, sondern wird als Autist von ebendiesen Umständen behindert. Deswegen gibt es keine „Menschen mit Autismus“, wie es auch keine „Menschen mit Nichtautismus“ gibt. Zudem sei darauf hingewiesen, daß nicht wenige Autisten sich selbst generell nicht als „Mensch“ bezeichnet sehen wollen, da sie den Begriff „Mensch“ mit von ihnen erlebter Barbarei von Nichtautisten in Verbindung bringen und etliche Autisten das Gefühl haben, eine eigene Art darzustellen, die mit den (nichtautistischen) Menschen nicht mehr zu tun hat als andere Arten.
Zum Begriff „Menschen mit Behinderung“ ist mit großem Bedauern anzumerken, daß in ihm eine Verschlimmbesserung des klassischen Begriffs „Behinderter“ als vermeintlich diskriminierungsfreiem Begriff auch mit Hilfe mancher Behindertenverbände Einzug in manche Bereiche des öffentlichen Sprachgebrauchs gehalten hat. Dessen verheerende Wirkung ist kaum abzuschätzen. Dieser Begriff sollte ganz allgemein unbedingt ganz schnell wieder verschwinden, denn er schreibt in geradezu antiaufklärerischer Weise die Behinderung quasi als Persönlichkeitseigenschaft dem durch äußere Umstände behinderten Menschen als Person zu und ignoriert praktisch komplett die Erkenntnisse der Disability Studies. Dies war im alten Begriff des „Behinderten“ so noch nicht enthalten. Noch unverständlicher wird dies, wenn man sich vergegenwärtigt, daß für Freunde des Begriffs „Mensch“ der Begriff „behinderter Mensch“ ebenfalls große Verbreitung fand, welcher die geschilderte Problematik nicht aufweist.
Hierbei sei am Rande noch erwähnt, daß die ESH es für sinnvoll hält, Schwangerschaft als Behinderung umzubewerten, um den Begriff der Behinderung mehr aus seiner überkommenen gesellschaftlichen Nische und der verbreiteten Assoziation mit einer Einschränkung des Lebens herauszuholen. Näheres siehe hier: http://autisten.enthinderung.de/schwangerschaft_behinderung

3. Elternverbände verträten die Interessen von Autisten
Leider werden bis heute Elternverbände noch oft als Anlaufstellen der Politik oder aus sonstigen Anlässen herangezogen. Diese Elternverbände beteiligen Autisten meist nicht einmal symbolisch und grenzen Autisten teilweise direkt und auch indirekt durch mangelnde interne Barrierefreiheit aus. Viele beteiligte Eltern vertreten kulturelle Wertvorstellungen, die diskriminierende Natur besitzen. Teilweise spielen auch Therapeuten und ähnliches Personal bei internen Entscheidungen eine größere Rolle, wobei deren finanzielle Interessen auch eine Triebkraft sein dürften. Daher sei allgemein angeraten, sich zu vergewissern, daß Entscheidungsträger, wenn es um Interessen von Autisten geht, auch eine Organisation kontaktieren, die maßgeblich von Autisten betrieben wird. Desweiteren sei vor zweifelhaften Organisationen wie „Autism Speaks“ besonders ausdrücklich gewarnt.
Näheres dazu hier: http://www.autisticadvocacy.org/modules/smartsection/item.php?itemid=60
Allgemein wird von uns darüber hinaus auch innerhalb der Behindertenszene eine weitgehende Ausgrenzung von Autisten beobachtet. Barrierearme Kommunikation wird in einem sogar noch höheren Maße verweigert, als es im Kontakt mit allgemeinen öffentlichen Stellen der Fall ist. Aus diesem Grund werden die Interessen von Autisten in Deutschland in der Regel bis heute auch nicht von ebenfalls durch Nichtautisten dominierten allgemeinen Behindertenverbänden vertreten. Autisten und Nichtautisten verstehen sich oft falsch aufgrund ihrer unterschiedlichen Körperspache, wie Hund und Katze, die z.B. Bewegungen mit dem Schwanz gegensätzlich deuten.

4. Freudige Hinweise auf den UN-„Weltautismustag“
Der Feiertag der Autisten, die sich etwas aus Feiertagen machen, ist der Autistic Pride Day, welcher jedes Jahr am 18. Juni begangen wird. Wer den UN-Weltantiautismustag als Feiertag der Autisten feiert, der wird vermutlich auch kein Problem damit haben, den Jahrestag des Mailänder Kongresses als „Weltgehörlosentag“ zu begehen.
Autismusfeindliche Kreise haben es vor einigen Jahren geschafft, die UN-Generalversammlung dafür zu benutzen, um eine dem Geist der damals erst startenden UN-Behindertenrechtskonvention widersprechende Gegenveranstaltung zum Autistic Pride Day einzurichten, die vor allem Pathologisierung von Autismus zum Ziel hat, den Welt(anti)autismustag, welcher jährlich am 2. April begangen wird und somit zu einer symbolischen Manifestation der Fremdbestimmung von Autisten durch Nichtautisten wurde. In der Gründungsresolution des „Offiziellen Feiertags der Autistenumerzieher“ wurde völlig unkritisch ein Umerziehungsansatz vorausgesetzt, der in der Praxis meist mit schädlichen, oft folterartigen Therapien und der Verweigerung von Barrierefreiheit einhergeht. Das wäre mit „Nichts über uns ohne uns“ kaum je passiert.
Uns fallen vor allem zwei Erklärungen dazu ein: Entweder wurde der Tag eingerichtet, ohne auch nur oberflächlich die Kultur der Autisten zu kennen oder es wurde bewußt eine Konkurrenzveranstaltung geschaffen, die mit teilweise harmlos und human wirkender Rhetorik letztlich gefährliche Desinformation mit einem Hang zu Eugenik an Autisten bezweckt. Wir vermuten eine Mischung aus beiden Erklärungen und rufen hiermit die UN auf, das Datum ihres Feiertags auf das etablierte Datum zu ändern und dabei auch den Geist dieses Tages zur Kenntnis zu nehmen oder ihn ganz abzuschaffen. Wir distanzieren uns scharf vom bisherigen Vorgehen der UN in dieser Angelegenheit.

5. Es gäbe „schwer betroffene“ und „leicht betroffene“ Autisten, viele Autisten seien „geistig behindert“
Oft wird behauptet, es gäbe Autisten, die an sich „autistischer“ (im defizitären Sinne) als andere seien. Tatsächlich ist das Modell eines Autistischen Spektrums recht anerkannt. Hierbei wird davon ausgegangen, daß Autismus eine Persönlichkeitseigenschaft sei, die jeder Mensch aufweise, nur in unterschiedlicher Ausprägung. Ab einem letztlich wieder willkürlich gesetzten Punkt innerhalb dieses Eigenschaftenspektrums begönne jemand Autist zu sein. An sich teilen wir diese Ansicht. Andererseits stellen wir fest, daß heutige Diagnosekriterien meist recht oberflächlich sind und sich zu nennenswerten Teilen an Faktoren orientieren, die sich aus dem Zusammenspiel von autistischer Veranlagung und speziellem Lebensumfeld herleiten. Hierbei werden Aspekte als Symptom von Autismus betrachtet, die sehr klar nicht auf Autismus zurückzuführen sind, sondern auf allgemeine menschliche Reaktionen auf hohe psychische Belastung. Nicht umsonst hatte Bettelheim sich bei Autisten an Insassen deutscher Konzentrationslager erinnert gefühlt und daraus geschlußfolgert, daß autistischen Kindern schreckliches widerfahren müsse. Da er jedoch nicht erkannte, daß Autismus eine Persönlichkeitseigenschaft ist, saß er damals dem Trugschluß auf, es handle sich bei Autisten um durchschnittliche Kinder, die unter in ungünstigem Sinne ungewöhnlichen Eltern, besonders Müttern, litten – dem Bild des Nichtautisten, der von Autismus verschüttet ist. Dieser Irrtum ist lange als solcher bekannt, wobei man jedoch bis heute nun in einen gegenteiligen Irrtum verfiel, der den Einfluß des Umfelds auf die Entwicklung von Autisten sträflich vernachlässigt.
Autisten nehmen die Welt teilweise sehr grundlegend anders wahr. Das zu fassen ist Nichtautisten im Grunde ebenso unmöglich, wie es Autisten unmöglich ist, durchschnittliche Nichtautisten wirklich zu begreifen. Annäherung besteht letztlich nur in rationalen Erklärungsmustern, die oft nur geringe Teile der Zusammenhänge abzubilden imstande sind. Für Nichtautisten völlig unbedeutende Aspekte im Lebensumfeld können für einen einzelnen Autisten eine immense Rolle spielen. Da Nichtautisten die Bedingungen, unter welchen einzelne Autisten leben, so nicht ansatzweise unter Anwendung autistischer Empathie zu erkennen vermögen und auch zugleich bis heute Autisten selbst nicht zur Beurteilung solcher Umstände herangezogen werden, entsteht für diese Nichtautisten der Eindruck, wesentliche Teile des Verhaltens vieler Autisten wie allgemeinmenschliches Überlastungsverhalten seien grundlos oder eben alleine lediglich in einer personenbedingten „Schwere“ des pathologisch und durch oberflächliche Kriterien betrachteten Autismus begründet. Dieser Eindruck ist jedoch völlig falsch und wenn es in der Tat mehr oder weniger autistisch veranlagte Individuen gibt, so ist diese Veranlagung in keiner Weise mit dem gleichzusetzen, was Nichtautisten aus ihrem Blickwinkel erleben. Diesen Blickwinkel auf eine vermeintliche, mehr oder weniger feste Veranlagung zurückzuführen, bedeutet Autisten eine ernsthafte Problemanalyse ihres Umfelds durch andere Autisten zu verweigern, ja nicht einmal den Gedanken zuzulassen, daß dieser Eindruck auf änderbare Lebensumstände zurückzuführen ist und somit einen Menschen lebenslang in seiner behebbaren tiefen Not zu belassen, in welcher auch leicht bei Nichtautisten ein Eindruck permamenter „geistiger Behinderung“ entstehen kann.

6. Es gäbe eine „Autismusepidemie“, die Ausrichtung heutiger Autismusforschung, Autismus sei erworben
Aufgrund steigender Diagnosezahlen wird von manchen Organisationen gerne eine „Autismusepidemie“ konstruiert. Dieser Anstieg ist vermutlich damit zu erklären, daß mehr Diagnosen ausgesprochen werden, nachdem erst in den letzten Jahren die Diagnose in breiterer Weise bekanntgemacht wurde und nicht damit, daß sich der Anteil von Autisten an der Bevölkerung tatsächlich vergrößere. Eventuell hat ein Anstieg auch mit der allgemeinen Verschlechterung der Lebensbedingungen für Autisten zu tun, welche seit hunderttausenden von Jahren unter den Menschen leben (siehe auch hier: http://autismus.ra.unen.de/topic.php?id=2508&goto=34346). Dem Anschein nach hat dies die Funktion, mit solcher Panikmache bei der Politik Finanzmittel für Forschung einzusammeln, die dann in Forschungsprojekte mit dem Ziel gesteckt werden, Autisten z.B. durch gezielte Abtreibungen zu beseitigen. Solche Forschung zu Autismus stellt bis heute die Schwerpunktsetzung der Autismusforschung dar. Forschung ohne diesen Beseitigungsansatz ist kaum zu finden, was zu entsprechenden Ergebnissen und einem Teufelskreis führt.
Weil kaum nichtpathologisierende Forschung zu Autismus stattfindet, finden Ansätze über die Medizin breite Anwendung, obwohl das eigentliche Problem in gesellschaftlicher Diskriminierung einer Minderheit liegt. Durch diese ungeeigneten Problemlösungsansätze, die meist im Vorfeld auf bestimmte vermeintliche Ursachen fixiert sind und demnach im Grunde nicht wissenschaftlich sauber agieren, entstehen dann zusätzliche Probleme, die weitere Folgekosten für die Gesellschaft bedeuten, etwa durch Heimunterbringungen. Hierauf wiederum wird errechnet, welche Kosten Autismus die Gesellschaft koste, worauf irgendwelche mehr oder weniger horrenden Summen herauskommen. Wiederum wird jedoch aufgrund der Voreingenommenheit und der Einseitigkeit der Forschungsausrichtung nicht festgestellt, daß diese Kosten vermutlich zu nennenswerten Anteilen entstehen, weil Autisten in der Gesellschaft auf erhebliche Barrieren stoßen. Wie diese Barrieren beseitigt werden können, ist jedoch bis heute praktisch gar nicht Gegenstand der Forschung. Weiter wird dann unter dem Eindruck der horrenden Kosten ein stillschweigender Konsens darüber erzielt, daß man diese Bevölkerungsgruppe besser ausrotten sollte – was von Anfang an die Ausrichtung dieser Forschung war. Wir werden also vielleicht schon in wenigen Jahren eugenische vorgeburtliche Massentötungen an einer Minderheit erleben, die nur das Problem hat, durch eine nichtautistisch geprägte Gesellschaft diskriminiert zu werden. Leider hat diese tatsächliche Ursächlichkeit bisher auch noch keinen erkennbaren Eingang in ethische Debatten gefunden, die sich meist ebenfalls auf die oben genannten falschen Annahmen als vermeintliche Fakten stützen. Hier zeigt der Versuch der Etablierung einer eugenikkompatiblem Ethik in schockierender Weise einige seiner eklatanten und kapitalen Schwächen.
Die Ansicht Autismus sei erworben, findet sich trotz gegenteiliger wissenschaftlicher Ergebnisse immer wieder. Eine Erklärung dafür könnte sein, daß es so nichtautistischen Eltern leichter fällt ihre Kinder als von Autismus verändert und verschüttet zu betrachten, statt sich damit auseinanderzusetzen, daß ihr Kind einfach anders ist und eigene an sich selbst als positiv erlebte und leichtfertig in dieser Weise objektivierte Veranlagungen schlichtweg nicht objektiv positiv sind. Vielen nichtautistischen Eltern fällt dies, wie auch andere Formen von Selbstkritik, sehr schwer, weswegen die unter 3.) erwähnten Elternverbände auch stark zu solchen Verdrängungsmechanismen neigen, die meist darauf hinauslaufen, daß den Autisten mehr oder weniger verschleiert sämliche „Schuld“ für eigene Probleme zugeschrieben werden. Indem sich Eltern darin zu Lasten ihrer Kinder bestärken, fühlen sie sich offenbar persönlich besser. Inwieweit ein durchschnittlicher Nichtautist überhaupt zu weitergehenden Reflexionen in der Lage ist, muß für uns Autisten offen bleiben.

7. Therapieziel Umerziehung, positive Darstellung früher Diagnosen
Teils aus den USA kommend, breiteten sich auch hierzulande mit der zunehmenden Thematisierung von Autismus unter diesem an sich noch recht jungen Begriff einige „Therapie“ansätze aus, welche teils mit erstaunlichem Missionseifer vertreten werden. Erstaunlich zumindest, bis man die Preislisten der Protagonisten zu Gesicht bekommt.
Es geht hier weniger um die Festhaltetherapie, die zwar bis heute Anwendung findet, auch wenn sie teils sogar von Sektenbeauftragten sehr kritisch kommentiert wird, aber dennoch grundsätzlich weiterhin von Krankenkassen bezahlt wird. Ein größeres Problem scheinen eher schwammige Ansätze wie ABA darzustellen, die in der Vergangenheit ebenfalls aus ethischen Gründen schwerer Kritik ausgesetzt waren und sich unter diesem Druck kosmetisch anpassten und offensichtlich mißhandelnde Praktiken größtenteils aufgaben; wobei es auch hier wie bei so vielen Lehren verschiedene Strömungen gibt, auch solche, die die alten Methoden im Verborgenen anwenden und dann versuchen, den Eltern zu vermitteln, daß es nicht mit falscher Sentimentalität betrachtet werden sollte, wenn das autistische Kind wegen der Behandlung stundenlang schreit und weint. Manche Eltern schauen sich das dann lieber gar nicht selbst an und vertrauen darauf, daß die Verheißung von „Verbesserungen“ schon richtig sein werde.
Aber was ist ein Erfolg? Hierbei sollte nicht vergessen werden, daß Autismus heute auch für die Wissenschaft noch eher unerklärlich ist. Daraus ergibt sich die Schwierigkeit zu bestimmen, wer eigentlich autistisch ist. Hierzu gibt es die Definition als Syndrom. Verschiedene beobachtbare Punkte werden summiert und gewichtet, um eine Diagnose zu stellen. Rein wissenschaftlich stellen diese Punkte für manche Ansätze Autismus dar. Wenn diese Punkte also nicht mehr feststellbar sind, wird dies als Erfolg verbucht. Dieses Verständnis von Autismus ist jedoch in seiner Oberflächlichkeit bei ernsthafterer Betrachtung ziemlich haltlos. Nur weil man Indizien beseitigt ändert sich der eigentliche Sachverhalt nicht unbedingt.
ABA z.B. ist an sich eine Sammlung von Dressurmethoden. Es geht um die Frage, wie man bestehende eigene Vorstellungen vom Verhalten des autistischen Kindes möglichst weitgehend dem Kind antrainiert.
Nehmen wir einmal an, eine Person hat einen Splitter im Fuß und hat Schmerzen beim Auftreten. Normalerweise würde man vermutlich bei jedem Arzt eine korrekte Ursachenfeststellung erhalten. Autisten jedoch sind in einigen sehr grundsätzlichen Punkten völlig anders als andere Menschen. Aufgrund dieser Andersartigkeit gibt es immer wieder Mißverständnisse, die vor allem den jeweiligen Autisten schwer belasten. Empathie ist die Übertragung des eigenen Innenlebens auf Mitmenschen. Deswegen haben Autisten eine andere Empathie. Keine schlechtere, einfach eine, die weniger hilfreich ist in einer Welt, welche weitgehend mit Menschen bevölkert ist, die anders sind. Es gibt nicht viele autistische Ärzte und die Meisten davon verstecken ihre dadurch bestehende Qualifikation aus Angst vor Diskriminierungen. Autisten werden also fast ausschliesslich von Ärzten behandelt, die bestenfalls rational versuchen können ansatzweise nachzuvollziehen, wie Autisten sich in Situationen fühlen. Viele Ausdrucksformen und Verhaltensweisen, die an sich völlig verständlich sind, werden so als im Prinzip unverständlich und mehr oder weniger grundlos eingestuft. Autisten sind eben so. Um aufs Beispiel zurückzukommen: Der Arzt verschreibt eine Therapie, die trainieren soll, den Fuß „richtig“ aufzusetzen, statt die tatsächliche Ursache auszumachen und zu beseitigen – den Splitter im Fuß. Es mag sein, daß so eine Therapie dann sogar unter größeren Mühen erreicht, daß die betreffende Person selbst zu glauben beginnt, ihr Schmerz sei ein veranlagungsgemäßes Defizit und durch Training und Disziplin im Alltag zu beseitigen. Vielleicht resigniert die Person auch einfach und fügt sich in ihr Schicksal der Therapien, weil sie massiv dazu genötigt wird.
ABA macht dasselbe. ABA ist offensichtlich keine allgemeine Erziehungsmethode, sondern speziell für „seltsame“ Menschen. ABA kann vielleicht Erfolge aufweisen, wobei nach unserer Kenntnis nicht einmal das bisher wissenschaftlich klar erwiesen ist. Aber was sind das für Erfolge? Im Grunde ist es die nackte Ratlosigkeit und der Drang dennoch etwas zu tun, auch wenn man nicht versteht, was man da eigentlich tut.
Es ist für jeden Menschen wichtig, seine Intuition leben zu können. Sie ist der Zugang zu seinen Stärken. Ja, man kann aus einem Sportwagen irgendwie einen Traktor bauen. Aber warum sollte man soetwas tun? Der so entstehende Traktor wäre wohl nie so gut, wie „so geborene“ Traktoren. Daher ist immer die Frage, was eine Therapie erreichen will, ob diese Ziele wirklich sinnvoll sind. Für Wissenschaftler oder hauptberufliche Therapeuten mag es einen Erfolg darstellen, Punkte in einem Kriterienkatalog abzuhaken. Etwa den speziellen für Nichtautisten auf befremdliche Weise als wichtig erscheinenden „Blickkontakt“. Aber geht es nicht um einen Menschen? Sollte der nicht besser in seinen Stärken gefördert werden, statt ihn einem willkürlich kulturell durchsetzten und somit sehr fragwürdigem Idealbild des perfekten Menschen irgendwelcher Technokraten anzugleichen und ihn nebenbei zu brechen, dazu zu erziehen nicht mehr auf eigene Empfindungen zu achten, dadurch letztlich eher ein stumpfer Schattenmensch zu werden? Dafür ist es auch nicht entscheidend, ob heute auch „Spaß“ als Konzept verfolgt wird. Was nutzt es, wenn jemand zu Blickkontakt nach Art durchschnittlicher Nichtautisten dressiert wird und im Gegenzug schwer traumatisiert wird und somit weitgehend unfähig, sich in seiner Persönlichkeit zu entwickeln?
Die ganze Tragweite solcher starr angewandter irrlichternder kultureller Normen zeigt sich z.B darin, daß seit Jahren Autisten eine weitgehend barrierefreie Beschulung verwehrt wird mit der Begründung, diese barrierearme Beschulung würde ihre Integration gefährden, obwohl tatsächlich das ganze Gegenteil der Fall ist, weil auf teilweise untragbaren und schwer gesundheitsgefährdenden Rahmenbedingungen behördlicherseits bestanden wird und so Bildungschancen aktiv in massiver Weise vereitelt werden.
Zu frühen Diagnosen ist anzumerken, daß bis heute eine Diagnose eklatante Diskriminierungen erst begründen kann. Deswegen ist in jedem Einzelfall abzuwägen, ob überhaupt eine Diagnose erfolgen sollte.

Schulabschlüsse

Regelschulen sind heute noch meist ausschließlich gestaltet nach dem Bedürfnis durchschnittlicher Nichtautisten physisch beieinander anwesend zu sein. Diese fühlen sich dabei meist wohl. Auf Autisten trifft das aber oft ganz und gar nicht zu. Sie bevorzugen fernschriftliche Gemeinschaft, die hinsichtlich der Reizbelastung eine weitaus bessere Konzentration ermöglicht.

Ein neu entstehender Lösungsweg ist das Konzept der Online-Beschulung: Link zur Online-Schule Hierbei wird nach Möglichkeit ein barrierefreier Zugang zu einer ganz normalen Schulklasse via Internet geschaffen und darüber hinaus Gemeinschaftsaktivitäten aller Online-Schüler. Ist dieser Weg in einem Bundesland nicht möglich oder wird er von Behörden verzögert kann es ratsam sein, dem Kind bis zur Beendigung der Schulpflicht offensiv zu vermitteln, daß diese Zeit im Grunde egal ist und es sich auf die, nach dem Ende der noch durch die vorhandenen Barrieren kontraproduktiven Schulpflicht, Erlangung von Schulabschlüssen in Eigenregie konzentrieren sollte durch Erholung und gezielte Vorbereitung. Es geht schließlich nicht darum „die Schule“ glücklich zu machen, sondern für die jeweiligen Autisten einen angemessenen Bildungsstand zu erreichen. Dieser ist besonders auch deswegen wichtig, da Autisten beruflich oft besonders gut mit geistigen höherqualifizierten Ausbildungen, Studienabschlüssen ihren Weg gehen können. Die Versuche des regulären Bildungssystems für Autisten gehen daran oft völlig vorbei.

Für Schüler, die mit der achten Klasse bereits die gesetzliche Schulpflicht absolviert haben stehen auch weitere Möglichkeiten offen, als ein Beispiel sei der Telekolleg genannt. Ebenso gibt es anerkannte Privatinstitute, die Fernlehrgänge zur Erreichung von Schulabschlüssen anbieten. Es ist dabei oft möglich z.B. Realschulabschlüsse anzustreben ohne einen Hauptschulabschluß zu besitzen. Bei manchen Angeboten sind auch Anteile von Präsenzunterrichtvorgesehen, dies ist nach individuellen Anforderungen zu berücksichtigen. Im Vorfeld sollte geklärt werden, wie und wo das Ablegen der Prüfungen möglich wäre. Die Kosten variieren und können von verschiedenen Trägern ganz oder teilweise übernommen werden, etwa vom Arbeitsamt.

Bei allen diesen Fragen wird die ESH gerne unterstützend tätig. Wir raten dazu dies frühzeitig in Anspruch zu nehmen, da so manches einfacher werden kann.

Hier findet sich ein aktuelles Rechtsgutachten zum Recht auf inklusive Beschulung in Deutschland unter Berücksichtigung der UN-Behindertenrechtskonvention.

Und noch ein kleiner Tipp:

Die Gewährung von Nachteilsausgleichen darf nicht unbedingt in Leistungsbewertungen (z.B. Zeugnisse) als Hinweis einfließen. Hier entscheidet das jeweilige Landesrecht (Bei Bedarf bei der ESH nachfragen). Eine offene Nennung wäre schließlich eine potentielle Diskriminierungsquelle. Siehe auch hier.

Bildung

Bildungsgänge sind oft einseitig auf die Bedürfnisse von Nichtautisten zugeschnitten. Situationen in Bildungseinrichtungen sind oft nicht nur extrem barrierehaltig, sondern auch darüber hinaus ernsthaft gesundheitsgefährend. Deswegen ist es wichtig, Wege barrierearmer Bildung zu finden und gegen Diskriminierungen in Massenverfahren entschieden anzugehen.

(Zu Unterseiten z.B. übers Menü)

Deutscher Behindertenrat: Autismus Deutschland vertritt die Interessen von autistischen Menschen

Der Kontakt der ESH zum vom deutschen Staat beauftragten „Deutschen Behindertenrat – Das Aktionsbündnis Deutscher Behindertenverbände“ (DBR) gerät immer mehr zur unglaublichen Posse. Zur Vorgeschichte kann hier nachgelesen werden.
Da der DBR, wie schon früher, seit Monaten gegenüber der ESH nicht antwortete, sei hier ein wenig aus einem Brief des DBR vom März 2009 zitiert:

„In seiner Arbeit bemüht sich der DBR, die Interessen aller Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung in ihrer Gesamtheit zu vertreten und deren Bedürfnisse gegenüber Politik und Verwaltung deutlich zu machen. Zu diesem Personenkreis zählen definitiv auch Menschen mit Autismus. Daher müssen wir Ihre Unterstellung, der Verband „Autismus Deutschland“ vertritt nicht die Interessen von autistischen Menschen, energisch zurückweisen.“

Darauf, daß Autismus Deutschland ein Elternverband ist, ging der Sprecher der BAG Selbsthilfe, die mittlerweile turnusgemäß den Vorsitz im DBR innehat, nicht ein. Mitgeteilt wurde dem DBR dies bereits, z.B. in einem Schreiben der ESH vom 3.3.2008 an den DBR:

„Viele Autisten fühlen sich von diesem Verband, der maßgeblich von Eltern gelenkt wird nicht vertreten oder teilweise gar aktiv diskriminiert.“

Nach wie vor ist im DBR keine Organisation Mitglied, die von Autisten selbst betrieben wird. Und wie der Fall der ESH zeigt, wird sogar jede Kooperation und jeder Austausch rüde abgeblockt.

Weiter schreibt der DBR:

„Nach Durchsicht und Recherche Ihrer Aktivitäten konnten wir feststellen, dass Ihre „Organisation“ keinen rechtlichen Status hat und auch nicht in bundesweit tätig ist (sic!). Vielmehr kann man zumindest aus dem Internetauftritt interpretieren, dass Sie in erster Linie Ihr Wohnprojekt vorantreiben wollen. Inhaltliche Aussagen zu Ihrer Selbsthilfearbeit finden sich nicht.“

Woraus auch deutlich wird, was beim DBR unter „Durchsicht und Recherche“ verstanden wird. Denn jeder, der diese Site nicht nur flüchtig angesehen hat, kann erkennen, wie fundiert diese abstrusen Aussagen sind. In der Korrespondenz mit dem DBR ging es zudem vorher nie um die Autistenkommune, die ein von der ESH unabhängiges Projekt ist.

Es bleibt anscheinend leider dabei: Die deutsche Behindertenlobby – potemkinsche Dörfer?

Wer sich durch den Link oben zu den älteren Artikeln durchklickt, findet auch Hinweise zu möglichem Emailprotest in dieser Sache.

Freiheitsberaubung durch Psychopharmaka oder Unterbringung

Dieses Thema ist schwierig und wenn hierzu eine Interessenvertretung einer weithin stigmatisierten Bevölkerungsgruppe wie die ESH klare Position bezieht wird dies leicht als „hysterisch“ empfunden oder gleichermaßen herablassend belächelt wie es auch gegenüber Autisten und ihren Interessensbekundungen generell immer wieder passiert, gerade wenn sie äußerlich seltsam wirken. Die meisten Mitmenschen sind sich über die Tragweite dieses Themas nicht ansatzweise bewußt, dies muß man wohl als Tatsache akzeptieren. Ebenso wie Haltungen der Art, daß alleine schon eine hergestellte Verbindung einer Person zu Psychiatrie nicht selten zu einer erheblichen Reduzierung der zwischenmenschlichen Achtung führt und das auch sehr oft gerade bei Personen, die nahezu täglich in diesem Bereich zu tun haben. Oft mitgetragenes Unrecht stumpft ab. Um eine kleine Einordnung zu ermöglichen seien zunächst einige Textpassagen von verschiedenen Internetseiten zitiert:

Zwangserleben hinterlässt meist tiefe Spuren an der Seele:

Zitat:

„Vor der Urteilsverkündung am 15. Juli 1988 sagte meine Frau, sie fühlt sich im Sinne der Anklage als nicht schuldig. Sie kann es als mündige Bürgerin der DDR nicht verstehen, dass ein Udo Lindenberg aus der BRD das Recht genießt, mit Herrn Honecker Briefe und Geschenke auszutauschen, und wir als mündige Bürger dieses Staates nicht das Recht haben, eine Antwort auf unser Ausreiseanliegen zu bekommen. Wir werden zu drei Jahren und zwei Monate Gefängnis verurteilt. Meine Frau kommt in das gefürchtete Frauenzuchthaus Hoheneck bei Stollberg im Erzgebirge und ich nach Brandenburg.
Wochenlang wartete ich auf ein Lebenszeichen von meiner Frau. Ich verstehe nicht, dass sie mir nicht antwortet. Drei Briefe im Monat dürfen wir uns schreiben. Schließlich am 1. September erfahre ich von einem Beamten, dass meine Frau mit einem Nervenzusammenbruch im Haftkrankenhaus Leipzig-Meusdorf liegt. Ich habe die Eltern von meiner Frau darüber informiert, sie wollen sie besuchen, sie werden abgewiesen. Erst zehn Tage später erhalten sie eine Erlaubnis meine Frau zu besuchen. Blass, abgemagert und ängstlich kommt sie auf ihre Eltern zu. Sie sagt immer „Mutti, ich habe alles falsch gemacht. Mutti, du ahnst nicht, was im Gefängnis los ist. Ich war mit Mörderinnen in einer Zelle, die mich beschimpft und bespuckt haben.“
Was ist mit ihr los, sie war doch immer so tatkräftig und optimistisch und nun steht sie zitternd vor ihnen. Sie sagt: „Am Anfang habe ich die Medikamente immer ausgespuckt, weil ich sonst nicht mehr klar denken konnte. Aber ich verspreche euch, ich nehme sie“. Sie stand unter Psychopharmaka. Nach neun Wochen kommt meine Frau als „gesunde Strafgefangene“ zurück ins Zuchthaus Hoheneck. Zuvor haben die Eltern meiner Frau in zwei Briefen den Chefarzt im Haftkrankenhaus Leipzig-Meusdorf Dr. Jürgen Rogge flehentlich gebeten sich ihrer Tochter anzunehmen und alles zu tun, um Haftverschonung für sie zu erreichen. Nicht einmal eine Antwort haben sie erhalten.
Im Frühjahr 1991 kann sich Dr. Rogge nicht mehr an meine Frau erinnern. Erst nach Einsicht der Akten kann er den „Fall“ beurteilen. Der Psychiater: „Bevor Frau Kersten zu uns verlegt wurde, erhielt sie in Hoheneck sehr hohe Dosen an schweren Psychopharmaka, die dreifache Menge dessen, was in akuten Erregungszuständen üblich ist. Sie hat sich schnell erholt“. Einen Antrag auf Haftverschonung hätte er nicht begründen können. Sie war gesund. Sie musste zurück nach Hoheneck. Die Schuld trifft die Justiz.

Eine gebrochene Frau

Mitte November 1988 kommen meine Frau und ich in die Abschiebehaft der Stasi nach Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz). Wir sind von Bonn freigekauft worden. Ich darf ohne Aufsicht mit meiner Frau sprechen. Sie ist weggetreten und klagt immer nur: „Ich habe mein Land verraten. Ich habe alles falsch gemacht. Ich komme nicht rüber, die Kinder werde ich nie wiedersehen“. Meine beruhigenden Worte erreichen sie nicht. Ich wiederhole was die Stasi versprochen hat: „Jessica und Mandy werden vor Weihnachten wieder bei uns sein.“
Am 25. November 1988 werden wir noch mit acht anderen Häftlingen von zwei Stasi-Offizieren zum Bahnhof begleitet. Morgens um halb sieben setzt sich der Zug Richtung Gießen in Bewegung. „Wir fahren ohne die Kinder, ich kann mich noch gar nicht so richtig freuen „, sagt meine Frau. Im baden-württembergischen Kirchentellinsfurt kommen wir in einem Hotel unter, das Verwandten gehört. Unterdessen kümmert sich meine Mutter in Stendal um die Papiere der Kinder. Meine Mutter will die Kinder in ihre neue Heimat begleiten. Meine Frau muss sich in ärztliche Behandlung begeben, Dr. Braun diagnostiziert eine schwere reaktive Depression. Es gibt nur ein Heilmittel, dass schnelle Wiedersehen mit den Kindern. Meine Frau erzählt mir, dass sie vergebens darum gebeten hat, in eine andere Zelle verlegt zu werden. Aus Protest zerschlug sie einen Spiegel und wurde deshalb in eine Arrest-Zelle im Keller gesperrt und ans Bett gefesselt. Mit Spritzen und Tabletten wurde ihr Widerstand gebrochen.
Jeden Tag telefoniere ich mit meiner Mutter in Stendal. Dann die erlösende Auskunft: Am 18. oder 19. Dezember 1988 gehe es los. Die Kinder säßen schon aufgeregt auf ihren Koffern. Wieder ein Anruf, die Papiere der Kinder seien noch nicht fertig. Die Behörden versicherten, dass es endgültig am 21. Dezember klappe. Am späten Vormittag des 21. Dezember trifft aus Stendal ein Telegramm ein: Die Anreise am 21.12. nicht möglich, da Papiere noch nicht vollständig. Weihnachten ohne die Kinder. Meine Frau wird immer stiller. Ich versuche sie zu trösten, kann aber wenig helfen. Wir machen einen langen Spaziergang. Am Abend bemüht sich meine Frau ein festliches Essen zuzubereiten. Es ist gegen 22 Uhr, als sie sagt: „Ich gehe mal eben hoch.“ Zehn Minuten später will ich nach ihr sehen. Meine Frau ist aus dem Fenster im dritten Stock gesprungen. Sie ist
sofort tot.“

Quelle: http://www.mdr.de/damals-in-der-ddr/ihre-geschichte/1542256.html

Solche Fälle in unserem aktuellen Staat geächteter und in breiter Weise als Unrecht erkannte Instrumentalisierung von Methoden der Psychiatrie veranschaulichen welche Folgen diese für Menschen haben können, die nicht nach heutigen Maßstäben psychisch auffällig wurden oder zu unfreiwilligen Minderheiten zählten. Diese Folgen sind jedoch gleichermaßen vorhanden bei solchen auch heute noch geringgeschätzten und oft weniger gewissenhaft behandelten Personengruppen.

Übersicht zu freiheitsentziehenden Maßnahmen:

Zitat:

Beispiele für freiheitsentziehende Maßnahmen sind:

  • Anlegen von Hand- bzw. Fußfixierungen
  • Anlegen von Bauchgurten, wenn keine Möglichkeit für den Pflegebedürftigen besteht, diese selbst zu lösen oder lösen zu lassen
  • Fixieren von Pflegehemden
  • Aufstellen von Bettgittern
  • Sicherheitsgurt am Stuhl, wenn keine Möglichkeit für den Pflegebedürftigen besteht, diese selbst zu lösen oder lösen zu lassen
  • Ausübung psychischen Drucks
  • Wegnahme von Schuhen und Kleidung
  • Psychopharmakagabe ohne oder gegen den Willen des Pflegebedürftigen.

[…]
Zustimmung des Pflegebedürftigen zu einer freiheitsentziehenden Maßnahme
Eine freiheitsentziehende Maßnahme ist nicht widerrechtlich, wenn der Pflegebedürftige in die Maßnahme wirksam eingewilligt hat. Ein Pflegebedürftiger kann nur wirksam einwilligen, wenn er über den maßgeblichen natürlichen Willen verfügt und einsichtsfähig ist. Dabei kommt es nicht auf die Geschäftsfähigkeit, sondern auf die natürliche Einsicht- und Urteilsfähigkeit des Pflegebedürftigen an. Der Pflegebedürftige muss die Bedeutung und Tragweite seiner Entscheidung erkennen können. Die Einwilligung bezieht sich jeweils auf die konkrete Situation. Der Pflegebedürftige kann die Einwilligung jederzeit widerrufen. Verliert der Pflegebedürftige infolge einer Erkrankung die natürliche Einsichtsfähigkeit, ist auch seine vorher gegebene
Einwilligung nicht mehr wirksam.
Die wirksame Einwilligung des Pflegebedürftigen sollte in der Pflegedokumentation festgehalten werden. In Zweifelsfällen kann es ratsam sein, vom behandelnden Arzt in regelmäßigen Zeitabständen die Einsichts- und Urteilsfähigkeit schriftlich bestätigen zu lassen.

Rechtfertigender Notstand

Freiheitsentziehende Maßnahmen können ausnahmsweise und für kurze Zeit unter den Voraussetzungen des rechtfertigenden Notstandes (§ 34 Strafgesetzbuch) zulässig sein, wenn keine Einwilligung zu erzielen ist. Dies trifft dann zu, wenn der Pflegebedürftige in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Körper, Freiheit oder Eigentum sich oder andere gefährdet. Ziel ist es dabei, die Gefahr von sich oder anderen abzuwenden. Dabei muss bei Abwägung der widerstreitenden Interessen das geschützte Interesse das Beeinträchtigte wesentlich überwiegen. Als Höchstgrenze einer Fixierung ohne richterliche Genehmigung ist die Frist nach § 128 Strafprozessordnung anzusehen, danach ist die richterliche Entscheidung spätestens am Tag nach dem Beginn der freiheitsentziehenden Maßnahme herbeizuführen.“

Quelle: http://www.mdk.de/media/pdf/Anleitung_amb_10112005.pdf

Psychopharmakagabe kann eine freiheitsentziehende Maßnahme sein, also auch Freiheitsberaubung. Auch Angehörige können sich theoretisch strafbar machen und sich der Gefahr von Freiheitsstrafen aussetzen, wenn sie derartige Maßnahmen bei Autisten mittragen. Gerichte urteilen hierbei unterschiedlich. In vielen Fällen kommt es jedoch praktisch zu keiner juristischen Aufarbeitung, weil die jeweiligen Autisten unterschwellig und unausgesprochen allgemein oft als vogelfrei und minderwertiges Leben betrachtet werden und die Eigenvertretung auch in gerade den nicht seltenen Fällen von unverantwortlicher und dauerhaft schlechte nicht barrierefreie Lebensbedingungen verdeckender Vergabe von Arzneien durch ebendiese von Kindheit an beeinträchtigt wird. Zudem verstärken die oft erheblichen Nebenwirkungen das Bild einer Person, die „bematscht“ ist, was dann jedoch oft wieder als Beleg für die davon unabhängige Verfasstheit einer Person betrachtet wird.

Zur weiteren Veranschaulichung ein Beispiel: Eine alte Person, die man zuhause bis ans Lebensende in ein Zimmer einsperrt kann ebenso schlecht eine Strafverfolgung in eigenem Interesse einleiten.

Auszüge aus der EU-Charta für autistische Menschen:

Zitat:

    „16. Das Recht autistischer Menschen auf ein Leben in Freiheit ohne Furcht und ohne Bedrohung durch eine Zwangseinweisung in eine psychiatrische Klinik oder eine andere geschlossene Anstalt.

[…]

    18. Das Recht autistischer Menschen auf ein Leben ohne missbräuchlichen Einsatz von Medikamenten.“

Quelle: http://auties.net/charta

Kurzer Anriß leider noch immer aktueller Zustände:

Zitat:

„Spätestens seit den 1968er Jahren gibt es auch in der Bundesrepublik so etwas wie eine Behinderten-Emanzipations-Bewegung: Einmal nehmen seither die Behinderten ihr Leben und die Vertretung ihrer politischen Interessen immer mehr in die eigene Hand; und zum anderen haben die Verantwortlichen für die Institutionen für Behinderte und Pflegebedürftige (also für Heime, Anstalten und Großkran-kenhäuser) mit der Deinstitutionalisierung begonnen, was sich in Verkleinerung, Dezentralisierung, Regionalisierung und teilweise auch Ambulantisierung ihrer Einrichtungen ausdrückt. Diese Feststellung ist wichtig; denn sie besagt, dass wir, auch die Institutions-Verantwortlichen (von den Heimleitern über die Wohlfahrtsverbände bis zu den Sozialministern) längst mit dem Prozess der Deinstitutionalisierung begonnen haben. Allerdings tun sie dies bisher nur halbherzig, nur so, dass es ihren gesund-egoistischen Interessen nicht weh tut, dass kein Heim in seiner Existenz bedroht ist, dass sie ihre Schmerzgrenze nicht überschreiten. Wenn ich also bei meinen zahlreichen Heim-Beratungen sehe, dass 20 % oder 40 % der Bewohner auf der Stelle in eine eigene Wohnung mit ambulanter Betreuung ziehen können und dass die Behinderung eines solchen Umzugs Freiheitsberaubung und Geiselnahme bedeutet, den Rechtsstaat verhöhnt, so gibt mir der jeweilige Heimleiter in der Regel zwar nicht öffentlich, wohl aber unter vier Augen sofort Recht. Nicht ohne hinzuzufügen: „Aber was soll ich denn machen, gehe ich mit der Belegung um 20 % herunter, ohne wieder aufzufüllen, kann ich Konkurs anmelden; damit alleingelassen, kriege ich das nicht hin.“ Und so muss man sich nicht wundern, dass trotz der gleichzeitig fortschreitenden Deinstitutionalisierung die Verheimung von Menschen weiter zunimmt, und zwar nicht nur der Pflegebedürftigen und Altersdementen (das wäre ja demographisch verständlich), sondern auch der Behinderten, was nach dem Bedarf völlig absurd ist. Dies bleibt aber zumindest so lange so, wie jeder clevere Unternehmer, wenn er nur ein paar formale Kriterien erfüllt, sich auf dem Markt des Heimwesens nach Belieben bedienen kann
und für den Bedarf selber sorgt – Rechtsstaat hin oder her.[…]

Vergabe von Psychopharmaka in Heimen

Auf der einen Seite, und dies wäre einen eigenen Vortrag wert, ist es der Einsatz von Psychopharmaka. Ich erinnere mich schon lange nicht mehr an einen Heimbewohner, der diese Medikamente nicht erhalten würde. Dabei leiden sie zumeist nicht unter akuten psychotischen Störungen oder depressiven Symptombildungen, die einer Behandlung bedürften oder der Notwendigkeit einer gezielten Rezidivprophylaxe. Psychopharmaka in Heimen werden – dies ist jetzt eine verkürzte Darstellung – weitgehend eingesetzt zum Zwecke der Verhaltensmodifikation. Die Bewohner sind in der Enge des Heimes leichter handhabbar, bereiten geringere Schwierigkeiten und lehnen sich weniger gegen die Unterbringung auf. Dies ist eine Problematik, sicher nicht exklusiv für psychisch Kranke in Heimen, sondern sie trifft nach meinem Kenntnisstand – und hierüber gibt es einige Literatur – auch für andere Heimformen zu.

Ich verweise in diesem Zusammenhang auf die Arbeit von Frau Wilhelm-Gößling aus Hannover über Neuroleptika in Pflegeheimen. Offensichtlich ist es schwer, in Heimen ohne exzessive Gaben von Psychopharmaka auszukommen. Dabei ist eine freie Arztwahl in der Regel eine Fiktion. In fast allen Einrichtungen gibt es enge Kooperationen zwischen Heim und psychiatrischen Kliniken bzw. dort tätigen Ärztinnen und Ärzten. In einem mir bekannten Heim wird die Arztwahl völlig aufgehoben, weil das Heim eigene Ärzte angestellt hat. Bereits in der Heimordnung wird der Zwang zur psychiatrischen Behandlung, das heißt auch zur Medikation festgeschrieben. Wenn ich die Klagen von Heimbewohnern, die mir im Laufe der Jahre zu Ohren gekommen sind, gewichten sollte, dann hielte ich diesen Aspekt der Zwangs- oder Beinahe-Zwangsmedikation für einen ganz zentralen.“

Quelle: http://www.behindertenbeauftragter-niedersachsen.de/broschueren_bblni/pi…

Vergleichbar verantwortungs- und gedankenlos werden gerade frühdiagnostizierte Autisten dauerhaft mit Arzneien „versorgt“. Auch nur die Zeit genauer nachzudenken „haben“ Ärzte oft nicht. Solche Verschreibungen sind einfach, die realen Problemfelder im Lebensumfeld von Autisten auszumachen hingegen für NA wohl überhaupt nur teilweise möglich. Alle Personen im Umfeld von Autisten sollten daher stets wachsam bleiben und sich Rat bei anderen Autisten holen, z.B. in unseren Foren. Das sollte nicht nur immer erst passieren, wenn „die Hütte brennt“. Wenn das der Fall ist sind oft schon derartig viele Dinge schiefgegangen, daß sich die Situation nur schwer und mit großer Ausdauer für alle Beteiligten (auch die um Rat ersuchten Autisten) halbwegs entwirren läßt. Zudem ist es nie gut für die Autisten und deren Vertrauen in ihr Umfeld, wenn man es überhaupt so weit kommen läßt.

Bewerbungsgespräche und Autismus

Immer wieder gibt es die Frage, ob man als Autist einen Schwerbehindertenstatus bei einer Bewerbung angeben muß oder es sollte. Man muß nicht, spätestens seit dem AGG:

Zitat:

„Im Vorstellungsgespräch gibt es viele Fragen, die nicht mehr gestellt werden dürfen. So dürfen weibliche Bewerber nicht nach einer vorliegenden oder gewünschten Schwangerschaft gefragt werden, unzulässig sind auch Fragen nach der Religion, wenn es keinen Zusammenhang mit der auszuübenden Berufstätigkeit gibt. Gleiches gilt übrigens auch für Vorstrafen. Bewerber dürfen zudem auch nicht mehr danach gefragt werden, ob sie Betriebsrat- oder Gewerkschaftsmitglied sind.Und ganz wichtig: Auch die Frage nach früheren Krankheiten ist tabu, bzw. nur in etwa folgender Form zulässig: ‚Leiden sie derzeit an einer Krankheit, die es ihnen unmöglich macht, die Tätigkeit auszuführen bzw. mit der sie andere Mitarbeiter anstecken könnten?‘. Für die Zukunft gilt wohl, dass auch die Frage nach einer Schwerbehinderung nicht mehr gestellt werden darf.

Was mache ich als Bewerber, wenn im Vorstellungsgespräch eine der unzulässigen Fragen gestellt wird, beispielsweise nach meiner Religionszugehörigkeit?

Kurze Antwort: Lügen Sie! Wenn Sie bei einer unzulässigen Frage sagen würden, dass sie darauf nicht antworten, dann wäre doch klar, was los ist. Da unzulässige Fragen aber nicht unter die Offenbarungspflicht fallen, spricht man hier vom Recht auf Lüge.“

Quelle: http://www.absolventa.de/blog/arbeitsrecht-1-berufliche-fortbildung-schu…

Die UN-Behindertenrechtskonvention (CRPD)

Nun wird es also nach dem Hickhack um die nationale Übersetzung des UN-Konventionstextes auch in Deutschland und Österreich ernst. Die Schweiz hat die Konvention bisher nicht ratifiziert. Die EU hat die Konvention am 23.12.2010 ratifiziert.

Die UN-Konvention wird in Deutschland vor deutschen Gerichten einklagbares Recht. In der Praxis tun sich bezüglich der faktischen Umsetzung noch teilweise deutliche Widerstände auf. Z.B. bezüglich der Zwangsaussonderung auch von autistischen Kindern aus dem regulären Schulsystem in einigen deutschen Bundesländern. Dort sieht man sich z.B. nicht an ein Bundesgesetz gebunden, da Bildung in Deutschland Ländersache ist. Die Konvention wurde aber als Bundesgesetz ratifiziert.

Das EU-Parlament hat am 15.12.2010 beschlossen:

Zitat:

44. fordert die EU-Mitgliedstaaten auf, die wichtigsten Menschenrechtsübereinkommen des Europarats und der Vereinten Nationen sowie die optionalen Zusatzprotokolle zu unterzeichnen und zu ratifizieren, d. h. unter anderem […] und das VN-Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen; schlägt darüber hinaus vor, im europäischen Gesetzgebungsprozess in stärkerem Maße internationale Dokumente zu berücksichtigen und auf diese zu verweisen;

Quelle: Entschließung des Europäischen Parlaments vom 15. Dezember 2010 zu der Lage der Grundrechte in der Europäischen Union (2009) – wirksame Umsetzung nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon (2009/2161(INI)); Online: http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+TA+P7-T…

Hier ein Link zur im Bundesgesetzblatt erschienenen Version: http://www.un.org/Depts/german/uebereinkommen/ar61106-dbgbl.pdf

Da also absehbar ist, daß die Umsetzung in etlichen Fragen innerhalb der nächsten Jahre von Gerichten entschieden werden muß, wird diese Seite bei Bedarf schrittweise erweitert.

Hürde Nr. 1: Verweigerte barrierefreie Kommunikation

In einer Zeit, in der selbst Unternehmen ihren Firmenkunden ungerne wichtige Vereinbarungen zur praktischen Umsetzung der vertraglichen Zusammenarbeit schriftlich aushändigen (es könnte ja anderen Kunden zugespielt werden, bei denen intern etwas anders gehandhabt wird) und auch in manchen Behörden gerne möglichst viel mündlich besprochen wird, um nicht gleich jede Aussage gerichtsfest abwägen zu müssen und weil man es eben so gewohnt ist, haben es Menschen nicht immer leicht selbstständig im Alltag zu bestehen, die nur schriftlich kommunizieren können.

Autisten nehmen die Welt anders wahr, wir sortieren das, was unsere Sinne empfangen weniger unbewußt vor, als der Rest der Menschheit. Das bedeutet Talent zu größerer Präzision, weniger Determinertheit durch unterschwellige (z.B. „soziale“) Weltdeutungsautomatismen, aber auch mehr Information, die zu bewältigen ist.

Gerade unbekannte Umgebungen und unberechenbare Situationen sind hohe Beanspruchungen. Daher sprechen manche Autisten gar nicht, andere können theoretisch sprechen, sind aber praktisch damit in bestimmten Situationen überfordert.

Es ist ernüchternd. Theoretisch ist man ein Bürger mit gleichen Rechten, praktisch wird auf schriftliche Anfragen, insbesondere Emails oft gar nicht oder nicht inhaltlich sinnvoll geantwortet. Auch in der praktischen Aktivität der ESH wird Mitarbeitern immer wieder sehr deutlich, wie groß doch der Anteil an Ausgrenzung ist, der durch diese Verweigerungen vorgenommen wird. Multiplizierte Diskriminierung mit heimtückischer Wirkung: Schreiben, die zum Zweck haben die Lebenssituation von Autisten systematisch zu verbessern stoßen ins Leere – weil barrierefreier Zugang zu Kommunikation nicht gewährleistet ist. Das hat schon etwas Absurdes.

Scheinbar harmlos hat dies massive und schwerste Folgen für Autisten als Bevölkerungsgruppe, die wohl nur wenige erfassen, die die komplexen Wechselspiele zwischen Diskriminierung und Einstufung als lebensuntüchtig mit Folgen bis hin zu Entmündigungen in ihrer Tragweite mehr oder weniger durchschauen.

Was tun? Jemanden suchen, der dann doch stellvertretend anruft? An sich ist das nicht hinnehmbar und die Erfahrungen sind auch abgesehen von der zweifellos vorliegenden Diskriminierung aufgrund der Verweigerung von direktem Kontakt schlecht. Das Anliegen wird von der Telefonperson nicht richtig verstanden, nicht vollständig mitgeteilt, übermittelte Antworten werden von der kontaktierten Stelle widerrufen, freiwillige Helfer sind plötzlich nicht mehr auffindbar oder haben mitten in einem Vorgang aus hin – und – her keine Lust mehr.

Eigentlich könnte man einfach kommunizieren, es liegt schließlich keine Situation vor wie bei Gehörlosen, deren Sprachen spezielle Kenntnisse erfordern. Ein frustrierendes Gefühl. Wir wollen einfach nur fernschriftlich kommunizieren und nicht wie Menschen zweiter Klasse behandelt werden!

Schulprobleme – AG Schule der ESH

Eine besondere Häufung von Fällen verzeichnet die ESH im Bereich der Schule. Autistische Kinder sind von barrierehaltigen Schulen überfordert, das dortige Personal versteht nicht was Autismus ist. Besonders verantwortungsvolle Eltern, die ihre Kinder zu ihrem Schutz aus solchen Schulen nehmen, werden gedrängt ihre Kinder gemäß der Schulpflicht wieder in die Schule zu schicken, obwohl die Bedingungen dort nicht als geeignet bezeichnet werden können. Was passiert dann erst mit autistischen Kindern, die kaum engagierte oder interessierte Eltern haben?

Autistische Kinder können unter diesen Umständen schlecht den Unterricht verfolgen, werden depressiv, äußern Suizidabsichten oder werden aufgrund der unzumutbaren Umstände physisch tätlich. In Extremfällen reicht das von verhängten Geldstrafen bis hin zu Versuchen von Behörden den Eltern das Sorgerecht zu entziehen, um dann über die autistischen Kinder ohne adäquates Wissen über Autismus verfügen zu können – eine Horrorvorstellung für Personen, die wissen, was das dann praktisch bedeutet.

Für all diese Fälle hat die ESH den Anspruch auch hier einen Durchblick zu bekommen. Aber die Bildung ist in Deutschland Ländersache, die Schulpflicht föderal geregelt – was an sich auch gut ist, nur eben für eine bundesweit agierende Interessenvertretung auch praktische Probleme mit sich bringt.

Erzählt eure Erfahrungen, wendet euch mit aktuellen Problemem an uns über das Kontaktformular oder agschule (ät) enthinderung.de (keine Form in der Anfrage erforderlich)

Schulhelfer sind aktuell ein gerne verwandtes Instrument Autisten einen Schulbesuch zu ermöglichen. Aber Schulhelfer lösen die Probleme nicht, die sind eher soetwas wie ein Leibwächter, der vor Diskriminierungen schützt – solange er eben da ist, nicht selbst merkwürdige Vorstellungen meint eigenmächtig umsetzen zu müssen oder sich für die Entlastung überforderter Lehrkräfte einspannen lässt. Und Schulhelfer sind fast nie dauerhaft da, sondern nur wenige Stunden.

Die ESH nimmt im Moment nicht Partei für ein bestimmtes Modell für Beschulung oder Bildung von Autisten. Da Autisten aber nach unserer Erfahrung oft barrierefrei schriftlich am freiesten kommunizieren können, ist es naheliegend andere Wege zu suchen, einige Ideen:

Hier gibt es auch ein Flugblatt als Basisinformation für Schulpersonal (später vielleicht auch mehrere): http://autismus.ra.unen.de/topic.php?id=2162

Ideen und Anregungen können natürlich auch gerne unter der oben genannten Emailadresse mitgeteilt werden.

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